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Myelodysplastische Syndrome (MDS)

Der Begriff myelodysplastische Syndrome (MDS) umfasst eine Reihe von Erkrankungen des Knochenmarks, bei denen zu wenig funktionstüchtige Blutzellen gebildet werden. Die einzelnen MDS-Formen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Verlaufs, der Behandlungsmöglichkeiten und des Risikos, in eine akute Leukämie überzugehen. Die Erkrankung gehört zu den häufigsten bösartigen Bluterkrankungen des Erwachsenen und tritt vor allem bei Patienten über 60 Jahren auf. Auch wenn MDS heute noch nicht medikamentös heilbar sind, konnten in den letzten Jahren die Diagnostik und die Behandlungsmöglichkeiten durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse stetig weiter verbessert werden.

Kennzeichen der myelodysplastischen Syndrome ist ein Mangel an normalen roten Blutkörperchen (Erythrozyten), bestimmten weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut. Während bei gesunden Menschen diese drei Zellarten aus Blutstammzellen im Knochenmark gebildet werden, ist bei MDS der Prozess der Blutbildung (Hämatopoese) gestört: Die Stammzellen reifen nicht vollständig aus, reife Blutzellen sind funktionsunfähig oder werden nur in zu geringer Zahl gebildet. Manchmal haben die Zellen auch eine verkürzte Lebensdauer.
Mit Fortschreiten der Erkrankung können immer mehr unreife Zellen im Knochenmark gebildet werden, die die normale Blutbildung verdrängen und so den Mangel an gesunden Blutzellen verstärken. Bei einem Teil der MDS-Patienten besteht das Risiko, dass die Erkrankung in eine akute myeloische Leukämie übergeht.

Ursachen und Häufigkeit

Myelodysplastische Syndrome sind keine erblichen Krankheiten und sind - ebenso wie andere Krebsformen - weder ansteckend noch können sie auf andere Menschen übertragen werden. Ursache der MDS sind bösartige, genetische Veränderungen (Mutationen) der blutbildenden Zellen im Knochenmark, die im Laufe des Lebens zufällig, aufgrund bestimmter genetischer Veranlagungen oder durch Umwelteinflüsse erworben werden. Als Risikofaktoren hierfür gelten ionisierende Strahlung und bestimmte chemische Substanzen. Bei etwa 10 % der MDS-Patienten kann die Erkrankung auf eine vorhergehende Krebsbehandlung mit Chemo- oder Strahlentherapie zurückgeführt werden. In diesen Fällen spricht man von sekundären MDS. In den allermeisten Fällen bleibt es jedoch völlig unklar, was der Auslöser der Krankheit gewesen ist.

Mit jährlich 4 bis 5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern gehören die MDS zu den häufigsten bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks. Obwohl die Krankheit in jedem Alter auftreten kann, sind vor allem Patienten über 60 Jahren betroffen. Etwa die Hälfte der Patienten ist älter als 75 Jahre, Männer erkranken etwas häufiger als Frauen.

Symptome

Die Symptome der MDS entwickeln sich eher langsam. Daher kann es passieren, dass die Erkrankung vor den ersten deutlichen Krankheitszeichen bei einer Routineuntersuchung als Zufallsbefund entdeckt werden. In der Regel treten jedoch deutliche Symptome auf, die durch den Mangel an reifen, funktionsuntüchtigen Blutkörperchen hervorgerufen werden.

  • Blutarmut (Anämie, Verminderung der roten Blutkörperchen) führt zu Blässe, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, verminderter Leistungsfähigkeit, Kurzatmigkeit, allgemeiner Schwäche und Unwohlsein. Einige Patienten leiden unter Kopfschmerzen, Ohrensausen, Schwindel und einem schnellen Pulsschlag.
  • erhöhte Infektanfälligkeit durch Verminderung der weißen Blutkörperchen (Leukopenien oder Neutropenie)
  • Verminderung der Thrombozyten (Thrombozytopenie) verursacht Gerinnungsstörungen und Blutungen (kleine punktförmige Hautblutungen (Petechien), blaue Flecken, Nasenbluten, verlängerte Blutungen z.B. nach Zahnarztbesuch oder nach leichten Verletzungen, verlängerte Regelblutungen bei Frauen)

Diagnostik

Für die eindeutige Diagnose von MDS sind umfangreiche Untersuchungen von Blut und Knochenmark notwendig. Die Analyse des Blutes gibt zunächst Auskunft über die mengenmäßige Zusammensetzung der Blutzellen (Blutbild oder Differentialblutbild), über ihre Form und Größe. Gleichzeitig werden weitere Blutwerte bestimmt, die hilfreich für die Diagnosestellung sein können. Eine Anämie, Leukopenie und/oder Thrombozytopenie in Verbindung mit anderen veränderten Blutwerten geben Hinweise auf ein myelodysplastisches Syndrom. Der Verdacht muss jedoch zusätzlich durch die Analyse des Knochenmarks gesichert werden.

Eine Knochenmarkuntersuchung wird von einem Facharzt für Blut- und Krebserkrankungen (Hämatologe/Onkologe) durchgeführt. Er entnimmt mit einer Spritze unter örtlicher Betäubung Knochenmark aus dem Hüftknochen oder Brustbein (Knochenmarkpunktion). Dieser kurze, ambulante Eingriff kann für den Patienten etwas unangenehm sein, da es einige Minuten dauert, bis das Knochenmark in die Spritze gelangt.

Die anschließenden Laboruntersuchungen des Knochenmarks umfassen die äußerlichen und genetischen Merkmale der erkrankten Zellen. Mit Hilfe der Analysen kann neben der Art der Erkrankung auch die genaue Unterform bestimmt werden. Insbesondere zytogenetische Veränderungen, vor allem der Verlust oder Zugewinn von Chromosomen oder Chromosomenteilen, die bei mehr als der Hälfte der MDS-Patienten festgestellt werden können, helfen bei der Bestätigung der MDS-Diagnose. Da sich die verschiedenen Formen der myelodyplastischen Syndrome deutlich in ihrem Krankheitsverlauf, der Prognose und dem Ansprechen auf verschiedene Therapie unterscheiden, ist die eingehende Untersuchung des Knochenmarks entscheidend, um einen geeigneten Plan für die Behandlung zu entwickeln.

Einteilung der myelodysplastischen Syndrome

Abhängig vom Aussehen der Knochenmark- und Blutzellen unter dem Mikroskop werden die myelodysplastischen Syndromen in verschiedene Unterformen eingeteilt. Hierbei spielt auch die Art und der Anteil unreifer Zellen eine wichtige Rolle.
Bereits in den 80er Jahren hat eine Gruppe französischer, amerikanischer und britischer Ärzte und Wissenschaftler die sogenannte FAB-Klassifikation (FAB für french-american-british) erstellt. Grundlage für die Einteilung war vor allem der Anteil unreifer Zellen (Blasten) im Knochenmark. Bei gesunden Menschen liegt dieser unter 2 %, bei MDS zwischen 2 und 20 %. Ab einem Blastenanteil von 20 % spricht man von einer akuten Leukämie. Die FAB-Klassifikation unterscheidet fünf MDS-Subtypen:

  • Refraktäre Anämie (RA)
  • Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten (RARS)
  • Refraktäre Anämie mit Blastenüberschuss (RAEB)
  • Refraktäre Anämie mit Blastenüberschuss in Transformation (RAEB-T)
  • Chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML)

1999 wurde die FAB-Klassifikation durch eine Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erweitert. Die WHO-Klassifiation beruht auf einem verbesserten Verständnis des Krankheitsverlaufs und berücksichtigt neben den äußeren, mikroskopisch sichtbaren Merkmalen (Morphologie) von Blut- und Knochenmarkzellen auch zytogenetische Aberrationen - also Veränderung der Anzahl oder Struktur von Chromosomen.

Ringsideroblasten

Ringsideroblasten sind abnorme rote Blutkörperchen, in denen Eiseneinschlüsse ringförmig um den Zellkern abgelagert sind. Durch eine spezielle Eisenfärbung können die Eisenkörnchen unter dem Mikroskop sichtbar gemacht werden. Sie erscheinen als blaue Punkte rund um den rot gefärbten Zellkern. Der ONKODIN Bildatlas stellt eine Aufnahme von Ringsideroblasten unter dem Mikroskop zur Verfügung, in der die Ablagerungen deutlich erkennbar sind.

Risikogruppen

Myelodysplastische Syndrome unterscheiden sich deutlich in ihrem Krankheitsverlauf. Um den Schweregrad der Erkrankung abschätzen und einen geeigneten Behandlungsplan auswählen zu können, haben Ärzte und Wissenschaftler international gültige Systeme zur Berechnung des individuellen Risikos entwickelt. Durch Addition von Risikopunkten, die für die Untersuchungsergebnisse der Blut- und Knochenmarktests und der Zytogenetik vergeben werden, erhält man einen sogenannten Score, anhand dessen der Patient einer Risikogruppe zugeordnet werden kann. Patienten der Niedrig-Risiko-Gruppe haben in der Regel einen milden Krankheitsverlauf und benötigen oft viele Jahre nur eine minimale unterstützende Behandlung und regelmäßige Kontrollen. Bei Patienten der Hoch-Risiko-Gruppe schreitet die Krankheit erfahrungsgemäß schneller fort, und es besteht ein erhöhtes Risiko, dass die MDS in einer akute Leukämie übergeht. Entsprechend erhalten die Patienten eine intensivere Therapie.

Behandlung

Myelodysplastische Syndrome können derzeit nicht medikamentös geheilt werden. Ziel der Behandlung ist es, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern, Symptome zu lindern und ein Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Die Behandlungsmethoden richten sich unter anderem nach dem MDS-Typ, dem Alter und dem Gesundheitszustand des Patienten. Daneben spielen noch weitere Faktoren eine Rolle, die der Arzt bei der Therapieplanung beachtet und mit dem Patienten bespricht. Besonders bei Niedrig-Risiko-Patienten kann es sogar vorkommen, dass sie über Jahre hinweg beobachtet werden (regelmäßige Blutkontrollen und Untersuchungen), ohne dass eine Therapie nötig wird. Dieses Vorgehen bezeichnet man als watch and wait. Erst wenn sich Symptome oder Veränderungen zeigen, wird eingegriffen.

Supportivtherapie

Die Grundlage der Behandlung myelodysplastischer Syndrome sind sogenannte unterstützende Therapiemaßnahmen (Supportivtherapie). Sie zielen darauf ab, Krankheitszeichen und therapiebedingte Nebenwirkungen zu behandeln bzw. ihnen vorzubeugen. Die Supportivtherapie umfasst

  • Transfusionen roter Blutkörperchen (Erythrozytenkonzentrate) zur Behandlung einer Anämie
  • Transfusionen von Blutplättchen (Thrombozytenkonzentrat) zur Vorbeugung und Behandlung von Blutungen
  • Gabe von Antibiotika zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen
  • Impfung gegen Pneumokokken
  • Eisenentleerung (Chelattherapie) zur Förderung der Eisenausscheidung bei bluttransfusionsabhängigen Patienten

Unter bestimmten Bedingungen können Zytopenien medikamentös mit Hilfe künstlicher Wachstumsfaktoren behandelt werden. Wachstumsfaktoren - z.B. Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor (G-CSF), Granulozyten-Makrophagen-Kolonie stimulierender Faktor (GM-CSF) und Erythropoetin (Epo) - sind synthetisch hergestellte Eiweiße, die auch natürlicherweise im Körper gebildet werden. Sie regen die Produktion gesunder roter und weißer Blutkörperchen und Blutplättchen an.

Weitere Therapieformen

Immunmodulatoren haben einen positiven Effekt auf das körpereigene Abwehrsystem, der bei einem Teil der Patienten die Normalisierung des Blutbildes bewirken kann. Als Ergebnis verschiedener klinischer Studien wurde der Immunmodulator Lenalidomid 2013 in Deutschland für die Behandlung transfusionsabhängiger myelodysplastischer Syndrome mit der Chromosomveränderung del(5q) zugelassen.

Histondeacetylase-Hemmer (kurz: HDAC-Inhibitor), wie Valproinsäure oder all-trans-Retinsäure, regen die Zellteilung und Reifung von Blutzellen an, indem sie die Funktion körpereigener Eiweiße, die zur Gruppe der Histondeacetylasen gehören, hemmen. Diese Eiweiße verhindern die Aktivierung von Erbinformationen, die für die Bildung normaler Blutzellen notwendig sind. Durch die Gabe der Medikamente werden die Eiweiße inaktiviert, wodurch die Gene aktiviert werden und neue gesunde Blutzellen entstehen können.

Bei der Chemotherapie erhalten Patienten mit Hochrisiko-MDS Medikamente, die Zytostatika genannt werden und das Zellwachstum hemmen. Da ein einziges Medikament in der Regel nicht ausreicht, um alle kranken Zellen zu vernichten, kombiniert man mehrere Medikamente mit verschiedenartigen Wirkweisen. Sie werden als Infusion, Spritze oder in Form von Tabletten gegeben. Die Chemotherapie gliedert sich in mehrere Zyklen, die durch Pausen (Intervalle) voneinander getrennt sind, in denen sich gesunde Zellen regenerieren können. Zur Beurteilung des Therapieerfolges werden in regelmäßigen Abständen Kontrollen durchgeführt.

Die einzige kurative (heilende) Behandlung für Patienten mit MDS ist eine Stammzelltransplantation. Hierbei handelt es sich um einen belastenden und risikoreichen Eingriff, bei dem das erkrankte Knochenmark durch gesundes ersetzt wird. Anders als der Name es vermuten lässt, ist eine Stammzelltransplantation keine Operation. Der Patient erhält die aufgereinigte Blutstammzellen eines passenden Spenders mittels Infusion. Für eine erfolgreiche Therapie müssen zuvor alle krankhaften Knochenmarkzellen des Patienten abgetötet werden. Dies wird durch eine starke (intensive) Chemotherapie und eine Bestrahlung erreicht, die neben den kranken auch die gesunden Zellen im Knochenmark zerstört. Das Risiko einer Stammzelltransplantation ist groß. Daher kommt diese Behandlung nur für Patienten mit Hochrisiko-MDS in Frage.

Therapiestudien

In Deutschland werden viele MDS Patienten im Rahmen von Therapiestudien behandelt. Hierbei erhält der Patient Zugang zu den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und wird mit innovativen Medikamenten und entsprechend aktueller Behandlungsstrategien therapiert. Die Teilnahme an einer Studie bedeutet nicht, dass die Anwendung der eingesetzten Medikamente experimentell ist. Vielmehr ist es das Ziel, die Behandlungsstrategien der MDS in Zukunft zu verbessern. Die Entscheidung darüber, welche Studie für einen Patienten in Frage kommt, muss zusammen mit dem behandelnden Arzt gefällt werden. Dabei spielen verschiedene Kriterien z.B. Erkrankungsmerkmale, Erkrankungsphase, Vorbehandlung, Alter und die Risikogruppe eine Rolle. Die letztliche Entscheidung für eine Studienteilnahme trifft aber immer der Patient selbst.

Viele Kliniken im gesamten Bundesgebiet beteiligen sich an den Studien der Studiengruppe für MDS. Die aktuellen Studien dieser Studiengruppen finden Sie im Deutschen Leukämie-Studienregister.

Quelle:

https://www.kompetenznetz-leukaemie.de

 

© 2016 Selbsthilfegruppe für Leukämie- und Lymphompatienten Halle (Saale) / Sachsen-Anhalt

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