Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist eine bösartige Erkrankung des lymphatischen Organsystems und damit eine Unterform der Non-Hodgkin-Lymphome (weitere Infos über den Glossarbegriff Non-Hodgkin-Lymphome). Im Gegensatz zu den meisten Non-Hodgkin-Lymphomen verläuft die CLL immer leukämisch, das heißt, die entarteten Lymphomzellen finden sich nicht nur in den lymphatischen Organen (Lymphknoten, Milz, Knochenmark), sondern lassen sich regelmäßig auch im Blut nachweisen. Aus diesem Grund wird die Erkrankung sowohl zu den Lymphomen (»Lymphdrüsenkrebs«) als auch zu den Leukämien (»weißer Blutkrebs«) gerechnet.
Häufigkeit und Ursache
Jedes Jahr erkranken in Deutschland drei bis fünf von 100.000 Personen an einer CLL. Die CLL ist die häufigste Leukämie (ca. 30% aller Leukämien) in Europa und Nordamerika und macht knapp 10% aller Non-Hodgkin-Lymphome aus. Betroffene, bei denen eine CLL erstmals diagnostiziert wird, sind im Durchschnitt 72 Jahre alt. Das Risiko, eine CLL zu entwickeln, nimmt dabei mit dem Lebensalter stetig zu. In den letzten Jahren wird die CLL öfter auch bei jüngeren Patienten diagnostiziert, weil inzwischen weitaus häufiger als früher routinemäßige Blutuntersuchungen vorgenommen werden. Trotzdem ist nur etwa ein Viertel aller Patienten mit neu diagnostizierter CLL jünger als 65 Jahre. Vor allem aufgrund der demographischen Entwicklung - immer mehr Menschen erreichen ein hohes Lebensalter - bleibt die CLL eine Erkrankung des fortgeschrittenen Lebensalters. Männer erkranken häufiger an einer CLL als Frauen (Verhältnis ca. 1,7 : 1).
Trotz intensiver Forschungsbemühungen und zunehmendem Erkenntnisgewinn ist die Krankheitsursache der CLL immer noch weitgehend unbekannt. Vererbungsfaktoren scheinen bei der Entstehung der CLL eine Rolle zu spielen. So haben die Kinder von CLL-Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung ein erhöhtes Risiko, später selbst an einer CLL oder an einem anderen Non-Hodgkin-Lymphom zu erkranken. Für eine genetische Veranlagung spricht auch die regional unterschiedliche Häufigkeit der CLL. So ist die Krankheit in Asien selten, und asiatische Nachkommen, die in Nordamerika aufwachsen, entwickeln trotz westlicher Umwelteinflüsse ebenfalls nur selten eine CLL. Umweltfaktoren scheinen insgesamt von untergeordneter Bedeutung für die Entstehung einer CLL zu sein. Medikamente, Chemikalien oder ionisierende Strahlen sind zum Beispiel keine direkten Auslöser der CLL.
Gene sind nicht nur bei der Krankheitsentstehung, sondern auch bei der weiteren Entwicklung einer CLL von Bedeutung. So werden in den entarteten CLL-Zellen häufig bestimmte Genveränderungen (Mutationen) beobachtet, die das Wachstum der Leukämiezellen begünstigen bzw. ihr Absterben verhindern. Weil CLL-Zellen vom Immunsystem abstammen, finden sich auf ihrer Zelloberfläche bestimmte Eiweißstrukturen, an die bei gesunden Menschen sogenannte Antigene (z.B. Krankheitserreger oder Schadstoffe) binden und damit eine Immunantwort auslösen können. Zu diesen Oberflächeneiweißen gehört der sogenannte B-Zell-Rezeptor. Die Bindung und Stimulation unbekannter Antigene an B-Zell-Rezeptoren der CLL-Zellen ist - neben Genmutationen - ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung einer CLL. Ein zunehmendes Verständnis der mit den CLL-typischen Genmutationen bzw. der Stimulation des B-Zell-Rezeptors verknüpften Signalketten in der CLL-Zelle haben in den letzten Jahren zu einer verfeinerten Diagnostik bei der CLL geführt und neue Behandlungsansätze eröffnet.
Symptome
Die CLL kann sich bei den Betroffenen sehr unterschiedlich zeigen. Etwa ein Viertel aller Patienten hat zum Zeitpunkt der Diagnosestellung keinerlei Beschwerden. Häufigstes Symptom sind schmerzlose Schwellungen der Lymphknoten(weitere Infos über den Glossarbegriff Lymphknoten) in der Hals-, Schlüsselbein-, Achsel- oder Leistenregion. Wenn Vergrößerungen der Lymphknoten in der Brust- oder Bauchhöhle vorliegen und sehr ausgeprägt sind, kann dies zu unspezifischen Beschwerden wie trockenen Reizhusten, Luftnot, Druckgefühl, veränderten Stuhlgewohnheiten oder Schmerzen führen. Auch die mit der Erkrankung oft einhergehende Vergrößerung der Milz oder der Leber (ca. 50% der Fälle) kann zu Druckgefühlen oder Schmerzen führen.
Wenn die CLL weiter fortgeschritten ist, leiden die Betroffenen häufiger an so genannten B-Symptomen. Dazu zählen Fieber über 38 Grad Celsius (ohne gleichzeitigen Infekt), starker Nachtschweiß und ungewollter Gewichtsverlust von mehr als 10% des ursprünglichen Körpergewichts innerhalb der letzten 6 Monate. Hinzu kommt oft eine verminderte Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und Schwäche. Da bei der CLL die Immunabwehr(weitere Infos über den Glossarbegriff Immunabwehr) gestört ist, kann auch eine vermehrte Anfälligkeit für Infekte ein Zeichen der Erkrankung sein. Der vom Patient aufgesuchte Arzt wird eventuell auch Veränderungen bei der Untersuchung des Blutbildes ( Leukozyten(weitere Infos über den Glossarbegriff Leukozyten) und Lymphozyten(weitere Infos über den Glossarbegriff Lymphozyten) erhöht, Erythrozyten(weitere Infos über den Glossarbegriff Erythrozyten) und Blutplättchen vermindert) und der Blutchemie (Erhöhung des LDH-Spiegels und der Harnsäure(weitere Infos über den Glossarbegriff Harnsäure), Mangel an Antikörpern) feststellen.
Einteilung
Die CLL ist eine bösartige Erkrankung der Lymphozyten(weitere Infos über den Glossarbegriff Lymphozyten) . Abhängig von bestimmten Eiweißmolekülen, die sich auf der Oberfläche der Lymphozyten befinden (so genannte Differenzierungsantigene, z.B. CD19, CD20), entstammen Lymphozyten entweder der B-Zellreihe (Zellreifung im Knochenmark) oder der T-Zellreihe (Zellreifung im Thymus). Die CLL entwickelt sich aus lymphatischen Zellen der B-Zellreihe.
Charakteristika der CLL (zusätzliche Fachinformation)
Typisch für die CLL ist eine starke Koexpression folgender Differenzierungsantigene: CD5, CD19, CD23. Das CD20 sowie zellmembranständiges Immunglobulin werden regelhaft schwach koexprimiert. Eine Leichtkettenrestriktion (kappa-oder lambda-Typ) beweist die Monoklonalität der Zellen. Im Blutausstrich dominieren kleine Lymphozyten mit einem schmalen, ungranulierten Zytoplasmasaum und einem rundlichen Zellkern mit dichtem, scholligem Kernchromatin. Gumprecht'sche Kernschatten sind typisch aber nicht pathognomonisch für den Blutausstrich einer CLL. Der Knochenmarkausstrich ist ebenfalls durch das Vorherrschen kleiner lymphatischer Zellen gekennzeichnet. Die feingewebliche Lymphknotenuntersuchung zeigt eine irreguläre Lymphknotenstruktur mit Verlust der Keimzentren und Infiltration des Lymphknotensinus durch kleine Lymphozyten.
Sonderformen der CLL
Von der CLL werden selten vorkommende, leukämisch verlaufende Non-Hodgkin-Lymphome und die häufige, sogenannte monoklonale B-Zell-Lymphozytose (MBL) abgegrenzt: Von einer MBL spricht man, wenn die Lymphozytenzahl im Blut unter 5000/µl beträgt (im Gegensatz zur CLL, bei der die Lymphozytenzahl im Blut bei Diagnosestellung über 5000/µl liegen muss). Aus einer MBL kann sich später eine CLL entwickeln. Eine Prolymphozytenleukämie (PLL) liegt vor, wenn im Blut und im lymphatischen Gewebe Prolymphozyten überwiegen (>55% aller Lymphozyten). Die LGL-Leukämie ist nicht mit der CLL verwandt und durch große granuläre T-Lymphozyten (large granular lymphocytes) charakterisiert. Die so genannte Richter-Transformation ist eine Sonderform der CLL, bei der sich die chronische Leukämie zu einem aggressiven Lymphom weiterentwickelt.
Stadien der CLL
Um das individuelle Krankheitsstadium eines Betroffenen festzulegen, erfolgt eine Stadieneinteilung der CLL entweder nach den Kriterien der Binet- oder der Rai-Klassifikation. Beide Klassifikationssysteme berücksichtigen die Lymphozytenzahl im Blut, die Anzahl betroffener Lymphknotenregionen, eine etwaige Milz- oder Lebervergrößerung sowie eine eventuell vorliegende Anämie(weitere Infos über den Glossarbegriff Anämie) oder Verminderung der Blutplättchen (Thrombopenie). Wenn keine Anämie oder Thrombopenie besteht und nur die Lymphknoten, Milz oder Leber vergrößert sind, spricht man von einem Binet-Stadium A oder B bzw. Rai-Stadium I oder II. Ein Binet-Stadium C bzw. Rai-Stadium III oder IV liegt immer dann vor, wenn eine Anämie (Hämoglobinkonzentration erniedrigt) oder eine Thrombopenie (Blutplättchenanzahl erniedrigt) besteht.
Diagnose
Besteht der Verdacht auf eine CLL, so werden eine Reihe diagnostischer Untersuchungen durchgeführt. Sie dienen zur Absicherung der Diagnose und zur Therapieplanung. Weiterhin ermöglichen sie es, das Krankheitsstadium zu erfassen, die Prognose abzuschätzen und mögliche Komplikationen einzuschätzen.
Sicherung der Diagnose
Zur Diagnosesicherung müssen das Blutbild und der Blutausstrich des Patienten untersucht und eine Immunphänotypisierung(weitere Infos über den Glossarbegriff Immunphänotypisierung) der Leukämiezellen des Blutes vorgenommen werden: Die CLL gilt als gesichert, wenn eine Lymphozytose von über 5000/µl vorliegt und die Lymphozyten(weitere Infos über den Glossarbegriff Lymphozyten) morphologische Reifezeichen und immunphänotypisch das typische Oberflächenmarkerprofil aufweisen. Eine Knochenmarkuntersuchung ist nicht zwingend notwendig. Sie kann aber bei der Beschreibung des Ausmaßes und des Musters des Knochenmarkbefalls durch die CLL hilfreich sein. Die Entfernung eines Lymphknotens und die anschließende histologische Beurteilung sind nur dann erforderlich, wenn eine klare Abgrenzung der CLL von anderen Non-Hodgkin-Lymphomen mittels alleiniger Blut- und Knochenmarkuntersuchung nicht sicher gelingt.
Festlegen des Krankheitsstadiums
Um das Krankheitsstadium des Patienten festzulegen, müssen neben dem Blutbild auch die Lymphknotenregionen sowie die Leber- und Milzgröße beurteilt werden. Maßgeblich für die Bestimmung des Binet- und Rai-Stadiums ist der sorgfältige Tastbefund bei der körperlichen Untersuchung. Um die Ausbreitung der CLL komplett zu erfassen, können zusätzlich bildgebende Diagnoseverfahren eingesetzt werden: Mittels konventioneller Röntgenuntersuchung des Brustkorbs und einer Ultraschalluntersuchung des Bauchraums können die jeweiligen Lymphknotenstationen beurteilt werden. Die Ultraschalluntersuchung des Bauches erlaubt zudem eine genauere Bestimmung der Leber- und Milzgröße als die körperliche Untersuchung. Alternativ kann eine Computertomographie(weitere Infos über den Glossarbegriff Computertomographie) von Hals, Brust- und Bauchraum durchgeführt werden. Sie ist noch besser geeignet, um einer Tastuntersuchung nicht zugängliche Lymphknotenstationen darzustellen, aber auch mit einer höheren Strahlenbelastung und der Gabe von Röntgenkontrastmitteln verbunden, so dass die Computertomographie nur in Studien Anwendung finden sollte.
Einschätzung des Krankheitsverlaufs (Prognose)
Der natürliche Krankheitsverlauf (d.h. der Verlauf ohne Behandlung) kann anhand des Krankheitsstadiums grob eingeschätzt werden: Bei Vorliegen eines fortgeschrittenen Stadiums ist die durchschnittliche Überlebenszeit deutlich verkürzt, wenn keine Therapie begonnen wird (siehe Tabelle 3).
Tabelle 3: Stadienabhängige Prognose der CLL
Binet-Stadium | Mediane Überlebenszeit) |
---|---|
A | > 10 Jahre |
B | 5 Jahre |
C | 2-3 Jahre |
Risikofaktoren
In den letzten Jahren haben Wissenschaftler eine Reihe von Risikofaktoren ermittelt, die hilfreich sind, um die Prognose individueller Patienten insbesondere in einem frühen Stadium der CLL (Binet-Stadium A, Rai-Stadium I und II) feiner zu beurteilen. Diese Risikofaktoren werden anhand spezieller Blutuntersuchungen bestimmt (insbesondere Immunphänotypisierung, Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung, Polymerase-Kettenreaktion(weitere Infos über den Glossarbegriff Polymerase-Kettenreaktion) ) und erlauben die Identifizierung von Patienten, bei denen trotz Vorliegens eines frühen Stadiums ein rascheres Fortschreiten der CLL wahrscheinlich ist. Ein ungünstiger Krankheitsverlauf ist zu erwarten, wenn
- die Verdopplungszeit der Lymphozyten unter 12 Monaten liegt
- die Thymidinkinase im Blutserum erhöht ist
- das β2-Mikroglobulin im Blutserum erhöht ist
- die Leukämiezellen eine erhöhte ZAP70-Expression zeigen
- die Leukämiezellen eine erhöhte CD38-Expression zeigen
- eine chromosomale 11q- oder 17p-Deletion vorliegt
- eine Mutation des p53-Tumorsuppressorgens vorliegt
- die IGVH-Genregion keine somatischen Hypermutationen aufweist
- andere bisher nicht in der Routineversorgung etablierte Marker positiv sind.
Ob bei einem ungünstigen Risikoprofil eine frühzeitige Therapie auch bereits im frühen Krankheitsstadium vorteilhaft ist, wird gegenwärtig in klinischen Studien untersucht. Die sorgfältige Beobachtung des Patienten bis zum tatsächlichen Fortschreiten der Erkrankung ist jedoch derzeit das Vorgehen der Wahl außerhalb von Studien.
17p-Deletion und p53-Mutation
Eine besondere Situation ist der Verlust eines bestimmten Genabschnittes, die so genannte 17p-Deletion, durch die das Tumorsuppressorgen(weitere Infos über den Glossarbegriff Tumorsuppressorgen) p53 in CLL-Zellen fehlt. Manchmal kann auch das p53-Gen selbst defekt sein, ohne dass der gesamte 17p-Genabschnitt fehlt (p53-Mutation). Das p53-Gen wirkt normalerweise hemmend auf die Zellteilung. Fällt es aus, so führt dies in der Regel zu einem raschen Fortschreiten der CLL bzw. zu einem oft nur kurzzeitig anhaltenden Ansprechen auf die Standardbehandlung. Wenn diese genetische Abweichung vorliegt und CLL-Patienten aufgrund ihrer Beschwerden und/oder ihres fortgeschrittenen Stadiums behandelt werden müssen, ist es gerechtfertigt, frühzeitig ein von der Standardtherapie abweichendes Behandlungsvorgehen zu wählen. Neue Therapieverfahren für Patienten mit einer 17p-Deletion oder p53-Mutation werden laufend in klinischen Studien untersucht.
Einschätzung der Komplikationsgefahr
Bei der Erstdiagnose einer CLL und vor Beginn einer Behandlung werden alle Begleiterkrankungen (z.B. Bluthochdruck, Diabetes mellitus) sorgfältig erfasst und verschiedene Blutwerte (Elektrolyte(weitere Infos über den Glossarbegriff Elektrolyte), Kreatinin(weitere Infos über den Glossarbegriff Kreatinin), Harnstoff(weitere Infos über den Glossarbegriff Harnstoff), Harnsäure(weitere Infos über den Glossarbegriff Harnsäure), Bilirubin(weitere Infos über den Glossarbegriff Bilirubin) , Transaminasen) bestimmt. Dies dient dazu, mit der Krankheit verknüpfte Komplikationen zu erkennen und die körperliche Fitness des Patienten richtig einzuschätzen. Zur Erfassung eines Antikörpermangels werden die Immunglobuline im Blut gemessen. Mittels des Coombs-Test sollen Antikörper gegen rote Blutkörperchen erkannt werden, die unter Umständen und begünstigt durch die Therapie eine Autoimmunhämolyse (Auflösung der roten Blutkörperchen) auslösen können. Weitere Bluttests dienen dazu, eine aktive oder durchgemachte Infektion mit Hepatitisviren oder dem Human Immune Deficiency Virus (HIV) auszuschließen.
Therapie
Wann ist eine Behandlung erforderlich?
Eine Behandlung der CLL ist nur dann ratsam, wenn ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium vorliegt oder wenn ein frühes Krankheitsstadium vorliegt und der Patient gleichzeitig über krankheitsbedingte Beschwerden (z.B. B-Symptome) klagt.
Patienten in frühen Krankheitsstadien (Binet-Stadium A oder B, Rai-Stadium I oder II) und ohne krankheitsbedingte Beschwerden, sollen nicht therapiert werden. Bei ihnen ist eine Therapie auch bei Vorliegen von Risikofaktoren allenfalls innerhalb sorgfältig geplanter Studien gerechtfertigt. Werden Patienten zunächst nicht behandelt, so muss ihre Erkrankung dennoch durch regelmäßige Untersuchungen überwacht werden. Dieses Vorgehen wird auch als "watch & wait" - also "Beobachten & Abwarten" - bezeichnet.
Wenn ein Patient bereits einmal wegen einer CLL behandelt wurde und es dann zu einem Rezidiv(weitere Infos über den Glossarbegriff Rezidiv) der Erkrankung kommt, muss er erneut therapiert werden.
Was für eine Therapie wird durchgeführt?
Die chirurgische Operation und die Strahlentherapie haben bei der Behandlung der CLL keinen nennenswerten Stellenwert. Die Therapie der CLL erfolgt immer medikamentös, z.B. durch eine Chemotherapie in Kombination mit monoklonalen Antikörpern (Immunchemotherapie) oder mit neuen, zielgerichteten Substanzen, bei denen es sich weder um Chemotherapeutika noch um Antikörper handelt. Im Gegensatz zu Chemotherapie und Antikörpern werden diese nicht als Infusion sondern in Tablettenform verabreicht.
Die Auswahl des Behandlungsschemas hängt sowohl bei der Erstlinien-Therapie (erstmalige Behandlung, "erste Linie") als auch bei der Zweitlinien-Therapie (nachfolgende Behandlung mit einer anderen Wirkstoffkombination, "zweite Linie") von der individuellen körperlichen Verfassung des Patienten und darüber hinaus von den individuellen Merkmalen der CLL ab.
Therapiestrategien für Patienten, die körperlich fit sind
Junge Patienten aber auch ältere Patienten, die keine zusätzlichen Begleiterkrankungen haben und deren Organe ohne Einschränkungen funktionieren, sollen intensiv mit einer Immunchemotherapie behandelt werden. Die Therapie zielt darauf ab, die krankheitsfreie Zeit nach dem Ende der Behandlung zu maximieren und die Überlebenszeit zu verlängern. Mit der intensiven Immunchemotherapie ist ein höheres Nebenwirkungsrisiko während der Behandlung verbunden, das bei guter biologischer Fitness jedoch kalkuliert und in Kauf genommen werden kann. Außerhalb von Studien wird dabei der Wirkstoff Fludarabin in Kombination mit Cyclophosphamid und dem monoklonalen Antikörper Rituximab (FCR-Schema) verabreicht. Das PCR-Schema (Pentostatin, Cyclophosphamid, Rituximab) gilt als gleichwertig. Durch diese Therapieschemata kann die CLL bei über 90 Prozent der Patienten zurückgedrängt werden. Die ebenfalls häufig verwendete Kombiniation aus dem Chemotherapeutikum Bendamustin und Rituximab(BR-Schema) scheint nach aktueller Studienlage weniger nebenwirkungsreich, aber auch nicht ganz so wirksam wie das FCR-Schema zu sein.
Patienten mit guter biologischer Fitness, bei denen von einem besonders raschen und aggressiven Fortschreiten der CLL ausgegangen werden kann (dies sind Patienten mit einer 17p-Deletion bzw. p53-Mutation) profitieren oft nur kurzfristig von einer der oben genannten Therapien. In solchen Fällen kann die Durchführung einer allogenen Blutstammzell-Transplantation (Übertragung von Blutstammzellen eines Familien- oder Fremdspenders) angezeigt sein. Seit kurzem sind jedoch auch neue, zielgerichtete Substanzen, welche die für das Wachstum und Überleben von entarteten CLL-Zellen wichtige Signalkaskade des B-Zell-Rezeptors blockieren (so genannte Kinasehemmer), zur Erstlinien-Therapie von Patienten mit Hochrisiko-CLL zugelassen. Die zugelassenen Kinasehemmer heißen Ibrutinib und Idelalisib.
Patienten, deren CLL bereits mittels intensiver Immunchemotherapie behandelt wurde und deren Krankheit dann zurückkehrt, können erneut das Erstlinienschema erhalten, wenn sie weiterhin körperlich fit sind und die vorausgegangene krankheitsfreie Zeit über drei Jahre beträgt. Ist dies nicht der Fall, so sollten alternative Therapiestrategien zum Einsatz kommen. Dazu gehören neben der allogenen Blutstammzelltransplantation die beiden Kinasehemmer Ibrutinib und Idelalisib, welche für diese Situation zugelassen sind und sowohl bei Patienten ohne als auch mit einer 17p-Deletion bzw. p53-Mutation in Studien vielversprechende Wirkung gezeigt haben. Weniger häufig werden folgende Wirkstoffe einzeln bzw. in Kombination als Zweitlinien-Therapie eingesetzt :
- Fludarabin zusammen mit dem monoklonalen CD52-Antikörper Alemtuzumab
- Alemtuzumab als Einzelsubstanz
- andere Polychemotherapien (CHOP-, COP-, CAP-Schema)
- Ofatumumab (ein monoklonaler CD20-Antikörper) als Einzelsubstanz
- allogene Blutstammzelltransplantation
Innerhalb von Studien werden sowohl für die Erst- als auch für die Zweitlinientherapie biologisch fitter Patienten weitere neue experimentelle, d.h. bei der CLL noch nicht routinemäßig eingesetzte Substanzen, untersucht. Die vielversprechendsten sind Lenalidomid und Venetoclax. Sie werden wie Ibrutinib und Idelalisib in Tablettenform verabreicht. Ein weiteres neues, aber sehr aufwendiges und noch hoch experimentelles Behandlungsverfahren ist die zelluläre Immuntherapie, bei der gesunde Abwehrzellen des Patienten mittels gentherapeutischer Verfahren verändert werden, um besser und gezielt gegen die Leukämiezellen vorgehen zu können.
Therapiestrategien für Patienten mit Begleiterkrankungen
Ältere Patienten, deren CLL behandelt werden muss, leiden häufig an zusätzlichen Erkrankungen. Ärzte sprechen dann von einer vorliegenden Komorbidität. Oftmals werden diese Erkrankungen noch vom Körper kompensiert und führen im Alltag nicht zu Beschwerden (z.B. kompensierte Nieren- und Leberfunktionsstörung, verminderte Knochenmarkreserve). Sorgfältige Untersuchungen dieser Patienten ergeben jedoch vielfach eingeschränkte Organfunktionen. Da intensive Therapieregime mit einer erheblichen Belastung der Organsysteme verbunden sind und bei diesen Patienten zu einer fatalen Verschlechterung der Begleiterkrankungen oder zu schweren Störungen subklinisch vorgeschädigter Organe führen können, sollen Patienten mit Komorbidität und verminderter biologischer Fitness weniger intensiv behandelt werden. Die Therapie zielt bei diesen Patienten vor allem darauf ab, eine wirksame Krankheitskontrolle zu erzielen und gleichzeitig die Lebensqualität auch während der Behandlung zu erhalten. Trotz fortgeschrittenen Alters kann aber auch die Verlängerung des Überlebens ein Therapieziel sein.
Außerhalb von Studien kann bei der Erstlinien-Therapie der Wirkstoff Chlorambucil in Kombination mit einem monoklonalen Antikörper eingesetzt werden. Zugelassen für diese Immunchemotherapie sind die Antikörper Rituximab, Ofatumumab und Obinutuzumab (GA101). Bei ca. 70 Prozent aller Patienten wird die CLL dadurch zurückgedrängt. Im Gegensatz zu allen anderen Zytostatika(weitere Infos über den Glossarbegriff Zytostatika) und monoklonaler Antikörper(weitere Infos über den Glossarbegriff monoklonaler Antikörper) wird Chlorambucil in Tablettenform eingenommen. Im Vergleich zur alleinigen Einnahme von Chlorambucil bewirkt die Hinzunahme eines Antikörpers eine Überlebensverlängerung. Obinutuzumab ist Rituximab hinsichtlich der Wirksamkeit überlegen, aber auch etwas nebenwirkungsreicher. Der Stellenwert von Bendamustin in Kombination mit Rituximab (BR-Schema) ist für die Erstlinienbehandlung bei diesen Patienten noch nicht abschließend untersucht.
Ältere Patienten mit Begleiterkrankungen und Vorliegen einer 17p-Deletion bzw. p53-Mutation erhalten eher keine Immunchemotherapie, sondern werden wie jüngere Patienten mit Hochrisiko-CLL mit Ibrutinib oder Idelalisib behandelt.
Kommt es zu einem Rezidiv, so kommen bei älteren, komorbiden Patienten ebenfalls die Kinasehemmer Ibrutinib und Idelalisib zum Einsatz. Wie bei jüngeren Patienten werden in Studienweitere noch nicht zugelassenene zielgerichete Substanzen (z.B. Lenalidomid, Venetoclax) auch bei älteren, weniger fitten Patienten untersucht.
Was bewirken die Therapien langfristig?
Mit den beschriebenen Mono- und Kombinationstherapien lässt sich eine fortgeschrittene CLL zurückdrängen und das Fortschreiten der Erkrankung verzögern. In vielen Fällen ist dann für mehrere Jahre keine weitere Behandlung notwendig. Nach derzeitigem Kenntnisstand gelingt damit jedoch keine Heilung der CLL. Verläufe, die eine Heilung zur Folge hatten, sind bislang nur nach allogener Blutstammzell-Transplantationen beobachtet worden. Diese Behandlungsmöglichkeit sollte trotz Verfügbarkeit neuer zielgerichteter Substanzen wie Ibrutinib und Idelalisib bei jungen Patienten mit ungünstiger Prognose (z.B. Deletion 17p, p53-Mutation) immer erwogen werden. Die Transplantation(weitere Infos über den Glossarbegriff Transplantation) von Blutstammzellen(weitere Infos über den Glossarbegriff Blutstammzellen) ist aber wegen der möglichen Unverträglichkeitsreaktionen des Transplantats sowie wegen der zuvor erforderlichen Unterdrückung des Immunsystems (Konditionierung) nicht ungefährlich und kann zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Um das Risiko zu verringern, werden Konditionierungsschemata eingesetzt, bei denen das Knochenmark des Patienten nicht vollkommen zerstört wird. Die Transplantation sollte innerhalb einer Studie und in einem erfahrenen Transplantationszentrum durchgeführt werden.
Detaillierte Informationen zu allen klinischen Studien der Deutschen CLL-Studiengruppe befinden sich auf der DCLLSG-Homepage.
Therapie von CLL-Sonderformen und Komplikationen
Die prognostisch ungünstige Richter-Transformation ist schwierig zu behandeln. Meist wird eine Immun-Polychemotherapie mit mehreren Zytostatika(weitere Infos über den Glossarbegriff Zytostatika) und dem Antikörper(weitere Infos über den Glossarbegriff Antikörper) Rituximab (R-CHOP-Schema) durchgeführt. Wenn möglich, wird im Anschluss daran eine allogene Blutstammzell-Transplantation angestrebt.
Verschiedenen krankheits- und therapieassoziierte Komplikationen der CLL muss durch besondere Therapien begegnet werden. So werden zum Beispiel die autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) und die Autoimmunthrombopenie mit Kortikosteroiden (und unter Umständen zusätzlich auch mit Rituximab) behandelt. Bei wiederkehrenden Infekten, die auf einen Mangel an Antikörpern zurückzuführen sind, können prophylaktisch und in regelmäßigen Abständen aus menschlichem Blut gewonnene Immunglobuline(weitere Infos über den Glossarbegriff Immunglobuline) als Infusion(weitere Infos über den Glossarbegriff Infusion) verabreicht werden. Der Effekt ist jedoch umstritten. Eine Prophylaxe(weitere Infos über den Glossarbegriff Prophylaxe) gegen bestimmte Formen von Lungenentzündungen (Pneumocystis-carinii-Pneumonie) und opportunistische Virusinfekte (Infektionen, die entstehen, wenn normalerweise harmlose Organismen auf ein geschwächtes Immunsystem treffen wie z.B. das Cytomegalie-Virus oder das Herpes-simplex-Virus) wird empfohlen, wenn durch die Therapie die für die Abwehr dieser Erreger wichtigen T-Lymphozyten(weitere Infos über den Glossarbegriff T-Lymphozyten) stark beeinträchtigt wurden. Prophylaktische Gaben von Medikamenten, die das Wachstum der Granulozyten(weitere Infos über den Glossarbegriff Granulozyten) anregen, sollten sich ebenso wie die Gabe erythrozytärer Wachstumsfaktoren (Medikamente zur Anregung des Wachstums der roten Blutkörperchen) an den Richtlinien der Fachgesellschaften orientieren.
Nebenwirkungen und Spätfolgen
Vorübergehende Nebenwirkungen der bei der CLL eingesetzten Chemo- und Immuntherapie sind Übelkeit und Erbrechen, Durchfall und Haarausfall. Ferner wird das Knochenmark vorübergehend geschädigt (Myelosuppression), was eine Verminderung aller Blutzellen (Zytopenie) nach sich zieht. Im Einzelnen resultieren daraus eine Leukopenie / Neutropenie (Absinken der weißen Blutkörperchen), Anämie(weitere Infos über den Glossarbegriff Anämie) und Thrombopenie (Absinken der Blutplättchen). Insbesondere die mit einer Schwächung des Immunsystems einhergehende Leuko- und Neutropenie einiger Therapeutika bergen das Risiko schwerer, lebensbedrohlicher Infektionen. Die Anämie kann vor allem bei alten, komorbiden Patienten zu Müdigkeit und Einschränkung der Lebensqualität führen (Fatigue-Syndrom).
Haben Patienten besonders viele Leukämiezellen, so kann die Verabreichung monoklonaler Antikörper(weitere Infos über den Glossarbegriff monoklonaler Antikörper) (Rituximab, Ofatumumab, Obinutuzumab, Alemtuzumab) insbesondere während der ersten Infusion(weitere Infos über den Glossarbegriff Infusion) zu so genannten infusionsassoziierten Reaktionen führen, die einem allergischen Schocksyndrom ähneln können. Hohe Leukämiezellzahlen bergen darüber hinaus bei allen Behandlungsformen die Gefahr eines Tumorlysesyndroms. Unter diesem Begriff werden verschiedene Stoffwechselstörungen zusammengefasst, die durch den raschen und erhöhten Abbau der im Körper abgetöteten Leukämiezellen auftreten können, wie z.B. akutes Nierenversagen. In diesem Fall ist manchmal eine intensivmedizinische Therapie notwendig.
Die Kinasehemmer Ibrutinib und Idelasib schädigen das Knochenmark weniger stark als die Chemo- und Immuntherapie. Leukopenien/Neutropenien, Anämien und Thrombopenien sind bei dieser Behandlung weniger häufig. Allerdings haben Ibrutinib und Idelalisib andere Nebenwirkungen, welche widerum weniger häufig bei der Chemo- und Immuntherapie zu finden sind. Dazu gehören Herzrhythmusstörungen, Blutungen (v.a. Hauteinblutungen), der Anstieg der Leberwerte und Durchfall.
Andere Kombinations- und Polychemotherapien können zur Schädigung bestimmter Organe führen (z.B. Herzschwäche, Nervenschädigung, Blasenschleimhautschädigung). Die Nebenwirkungen einer allogenen Blutstammzelltransplantation sind sehr vielfältig und nicht selten lebensbedrohlich (Abstoßungsreaktion, opportunistische Infektionen, Organversagen). Alle chemotherapeutischen Behandlungsformen der CLL sind keimzell- und fruchtschädigend, so dass Patienten im zeugungsfähigen Alter während der Behandlung eine Kontrazeption betreiben müssen.
In den meisten Fällen ist die CLL nicht heilbar. Mit modernen Therapieregimen lässt sich der natürliche Krankheitsverlauf jedoch immer länger hinauszögern, so dass weitere Spätfolgen der Behandlung zunehmend in den Vordergrund rücken. Dies sind in erster Linie Zweitkrebserkrankungen, deren Häufigkeit und Art bislang nicht sicher beziffert werden können.
Nachsorge
An jede Behandlung der CLL schließt sich die Nachbeobachtung an: Zur exakten Dokumentation des Behandlungseffekts sind sorgfältige körperliche Untersuchungen, Blut- und Knochenmarkuntersuchungen sowie eventuell auch bildgebende Verfahren wie eine Röntgenuntersuchung(weitere Infos über den Glossarbegriff Röntgenuntersuchung), Ultraschall(weitere Infos über den Glossarbegriff Ultraschall) oder eine Computertomographie(weitere Infos über den Glossarbegriff Computertomographie) notwendig.
Innerhalb klinischer Studien werden zunehmend spezielle Labormethoden eingesetzt (Immunphänotypisierung(weitere Infos über den Glossarbegriff Immunphänotypisierung),Polymerase-Kettenreaktion(weitere Infos über den Glossarbegriff Polymerase-Kettenreaktion)), um auch nur wenige, im Körper verbliebene Leukämiezellen nachzuweisen (so genannte Bestimmung der minimalen Resterkrankung, MRD).
Wenn die klinischen Kriterien eines Rückfalls oder Fortschreitens (Progression) der CLL erfüllt sind, muss eine erneute Behandlung begonnen werden, bei der meistens ein alternatives Therapieregime eingesetzt wird. Die MRD-Diagnostik sollte nur in klinischen Studien zur Indikationsstellung herangezogen werden. Außerhalb von Studien hat die MRD-Diagnostik bislang keinen Stellenwert.
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