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Interview mit Prof. Dr. Michael Hallek in Halle (S.) am 05.05.08

Liebe Freunde, liebe Besucher,

mir wurde die Möglichkeit geboten, mit Prof. Dr. Michael Hallek ein Interview zu führen. Er ist seit 2003 Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Universität Köln. Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit ist die Entwicklung spezifischer, molekularer Therapien für Leukämien. Er erhielt zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen. Prof. Hallek ist Gründer und Leiter der Deutschen CLL-Studiengruppe, der international führenden Studiengruppe zur Erforschung neuer Behandlungen der chronischen lymphatischen Leukämie.


In der Bundesrepublik Deutschland erkranken jährlich nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts Berlin mehr als 10.000 Menschen neu an Leukämie.

Frage:

Herr Prof. Dr. Hallek, Sie leiten das Kompetenznetz Maligne Lymphome erfolgreich in Köln. Sie selbst sind für die DCLLSG verantwortlich. Können Sie uns sagen, wie viele Patienten ca. deutschlandweit jährlich an CLL erkranken?

Ungefähr erkranken 2.500 bis 3.000 Patienten pro Jahr neu an CLL. Man sagt so 3 bis 4 Patienten pro 100.000 Einwohner, und dann kommt man auf die genannte Zahl.

Frage:

Zeigt sich bei der CLL ebenso eine steigende Tendenz, wie z.B. bei den aggressiven NHL?

Nein, wir haben keine Anhaltspunkte, dass sich bei der CLL eine aufsteigende Neigung verzeichnet. Es gibt Daten, die sind nicht ganz neu und zuverlässig, aber sie zeigen an, dass die CLL im Gegensatz zu den sonstigen NHL nicht an Häufigkeit zunimmt. Die Prognose hat sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Dadurch ist die Überlebensrate durchschnittlich um 1 bis 2 Jahre angestiegen als noch vergleichbar von vor 10 bis 20 Jahren.

Frage:

Wie wichtig sind Studien, und wozu dienen sie uns Patienten?

Ohne sorgfältig kontrollierte Studien gäbe es überhaupt keinen Behandlungsfortschritt, egal bei welcher Erkrankung. Ohne kontrollierte Studien wüssten wir nicht, ob wir Kombinationen oder Einzelmedikamente verabreichen sollten. Klinische Studien sind die einzige Möglichkeit in der Endphase der Forschung, um die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern. Ohne klinische Studien wüssten wir nicht, dass wir mit wahrscheinlich drei Medikamenten behandeln sollten und nicht wie vor 5 oder 10 Jahren mit nur einem Medikament.

Frage:

Wie viel Prozent der CLL - Erkrankten nehmen an Studien teil?

In Deutschland nehmen etwa 15% bis 20%, vielleicht auch 25% aller Neuerkrankten an Studien teil. Das wechselt auch gelegentlich. Aber wir hätten gern mehr Patienten, die bereit wären, an unseren Studien teilzunehmen.

Frage:

Worin liegen die vermutlichen Ursachen einer CLL? Es wird immer wieder über die Medien berichtet, dass vermehrte Röntgenuntersuchungen sowie übermäßiger Tabakgenuss Schuld sein könnten? Was meinen Sie dazu?

Die CLL ist vermutlich stark genetisch mit bedingt. Sie wird streng genommen nicht vererbt. Nur eine Veranlagung zur CLL kann vererbt werden. Die Ursachen sind Fehler bei bestimmten Chromosomen. Es wurde näher untersucht und man ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Chromosom 13 diesbezüglich entartet. Dann gibt es noch vermutete Ursachen wie z.B. in der Landwirtschaft - der Gebrauch von Pestiziden. Es gibt keine einheitlichen Ursachen zu verzeichnen.

Frage:

Bei welchen Anzeichen, außer den bekannten B-Symptomen und Lymphknotenschwellungen sollte man einen Haus- bzw. Facharzt aufsuchen?

B-Symptome müsste man noch einmal für den Laien näher erläutern. Die wichtigsten Kennzeichen sind starker Gewichtsverlust, unklares Fieber über einen längeren Zeitraum, Nachtschweiß und Erschöpfung. Es gibt kein beweisendes Merkmal oder ein typisches CLL-Symptom. Wenn man sich aus unklaren Gründen nicht wohl fühlt und dafür keine Erklärung findet, sollte man aufmerksam werden. Auch sollte man den Arzt bei unklar geschwollenen Lymphknoten aufsuchen. Meist ist das erste Anzeichen wie auch bei den anderen Lymphomerkrankungen, die vergrößerten Lymphknoten.

Frage:

Was raten Sie Patienten nach einer überstandenen Chemotherapie bzw. Stammzelltransplantation zur Stärkung des Immunsystems?

Leben. Ich glaube wirklich, dass man, wenn man eine so schlimme Erkrankung überstanden hat, auch die Seele gewisse Zeit braucht um sich zu erholen. Das Wichtigste ist, dass man anschließend zurück findet ins Leben. Das ist leider nicht allen Patienten vergönnt. Wenn man es schafft, dann sollte man es auch genießen. Einfach auch mal arbeiten, wenn man gern arbeitet oder gut Essen zu gehen, wenn man es mag. Vielleicht auch in den Urlaub fahren, wenn man gern verreist. Alles das trägt dazu bei, dass man schnell wieder zu Kräften kommt.

Frage:

Rituximab (MabThera) gilt z.B. bei Lymphomen mit einer CD20 Struktur als Wunderwaffe. In Studien wird es wohl schon verabreicht bei der CLL. Wann rechnen Sie mit der Zulassung für die "First-Line-Therapie" bei CLL -Patienten?

Entweder dieses oder nächstes Jahr. Die Unterlagen für die Zulassung werden vorbereitet und im Laufe des Jahres eingereicht. Dann ist es die Arbeit der Behörden, und ich schätze mal im Laufe der nächsten 12 Monate könnte es soweit sein.

Frage:

Während der akuten Therapiephase leiden ca. 90% der Patienten an Fatigue. Wir hören immer wieder Klagen von Erkrankten, dass sie nach einer abgeschlossenen Therapie diesbezüglich von ihrem Hämatologen nicht ernst genommen werden. Oft meinen sie, dass 6 bis 8 Wochen Erholung ausreichend wären um wieder ins Berufsleben einsteigen zu können. Wie sollten sich Patienten gegenüber ihren Facharzt artikulieren, um den Ernst der Lage auch richtig rüber bringen zu können.

Das Erkrankungsbild ist ja sehr, sehr schlecht einzugrenzen und deswegen haben wir da gewisse Probleme. Ich glaube aber, es wird manchmal überschätzt oder auch das Gegenteil trifft zu. Es gibt Patienten die haben nach einer Chemotherapie, ob sie das wollen oder nicht, einfach keine Kraft mehr. Ihnen fehlt Energie und da können auch alle Laborwerte in Ordnung sein. Manchmal ist auch eine Anämie die Ursache. Man muss die Beweggründe finden. Also es kann auch eine Schilddrüsenunterfunktion sein, oder eine andere hormonale Unterfunktion ist möglich. Eine Mangelernährung z.B. kann zu Darmaufnahmestörungen führen. Wenn das alles ausgeschlossen ist, sind seelische Ursachen möglich oder auch Dinge, die wir nicht erklären können. Ein erheblicher Prozentsatz der Non Hodgkin Patienten haben Probleme wieder ins Leben zurückzufinden. Ich habe jetzt keine genaue Statistik. Aber ich schätze mal 10 bis 20% leiden nach einer abgeschlossenen Behandlung noch an Fatigue. Also ein Beschwerdekomplex mit einem bestimmten Sammelnamen. Es hat in Amerika die Berechtigung zur Gabe von Erythropoetin beigetragen, dass man gesagt hat, wenn der HB hoch genug liegt, geht auch das Erschöpfungsmerkmal zurück. Deswegen wird es wohl auch ein bisschen belächelt, weil man es halt so schlecht fassen kann. Fatigue sollte man unbedingt ernst nehmen.

Frage:

Was raten Sie Fatigue - Patienten zu unternehmen, um ihre chronische Müdigkeit zu verdrängen?

Alles was medizinisch nichts fassbar ist, dann versuche ich meistens, wenn es irgendwie geht, der seelischen Ursachen auf den Grund zu kommen. Bei Bedarf schalte ich einen psychologischen oder psychiatrischen Kollegen ein.

Frage:

Arbeiten Sie mit Herrn Dr. Rüffer von der Deutsche Fatigue-Gesellschaft mit Sitz in Köln zusammen?

Gelegentlich. Ich kenne und schätze ihn sehr, weil er auch hier aus Köln ist, wo ich die Klinik leite. Eine intensive Zusammenarbeit ist mangels Gelegenheit noch nicht möglich. Wir tauschen uns aus und haben schon einen Film zusammen gedreht.

Frage:

Herr Prof. Hallek, im Zeitalter der modernen Kommunikationsmittel haben wir zahlreiche Erfahrungen zu verzeichnen, dass es doch immer mehr Patienten gibt, die sich über ihre Erkrankungen im Internet erkundigen. Was ist dabei unbedingt zu beachten?

Ich rate im Prinzip am Anfang ein bisschen zu lesen und dann irgendwann dem Arzt zu vertrauen, weil die Informationen manchmal einfach zu viele sind. Der Arzt muss die ganze Informationsfülle so zusammen bündeln, dass er daraus ein Handlungskonzept erarbeiten kann. Es macht für den Patienten wenig Sinn, wenn er versucht den Arzt während der Behandlungsphase permanent zu kontrollieren. Das man sich informiert, ist was ganz anderes und ist sogar sehr wichtig. Die Informationsquellen sollten seriös sein. Also z.B. das Kompetenznetz Maligne Lymphome geben sehr gute Informationen. Auch die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutsche Krebshilfe, das Krebsforschungszentrum in Heidelberg haben sehr aufrichtige Angaben. Aufpassen sollte man bei Foren, weil dort häufig sehr persönliche Erfahrungen ausgetauscht werden, die nicht für alle Erkrankte zutreffen und zu falschen Schlüssen führen können. Es könnten Sorgen aufkommen, die eventuell unnötig wären. Das Internet ist der Ersatz für die Großfamilie, in der jeder, Onkel, Tante... seinen guten Ratschlag gibt, meist auf einem etwas höheren fachlichen Niveau. Irgendwann sollte man aber davon abkommen und sich dem Arzt so weit wie möglich anvertrauen.

Frage:

Arbeiten Sie gern mit Patienten zusammen, die sich mit der Materie vertraut machen, oder wünschen Sie sich doch lieber unbefangene Erkrankte?

Ich arbeite ehrlich gesagt lieber mit allen Patienten zusammen. Patienten mit etwas Fachwissen fordern mich heraus. Und es ist manchmal sehr interessant zu diskutieren. Es kann auch mal Spaß machen, jemanden zu behandeln, der überhaupt keine Ahnung hat und sehr dankbar ist, dass man ihm hilft und informiert.

Frage:

Wie unangenehm ist es Ihnen schlechte Nachrichten an Patienten bzw. Angehörigen zu überbringen und gibt es an Ihrer Klinik psychoonkologische Betreuung diesbezüglich?

Ich glaube, dass kann man lernen. Es gibt Techniken dafür, dass man es gut macht und seid ich darüber mehr gelesen hab, fällt es mir auch leichter. Als Arzt hat man nicht immer die Distanz zum Patienten, dann fällt es einem mitunter auch schwerer. Aber grundsätzlich habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass mein Glauben an die Menschheit mich gestärkt hat. Gerade Patienten mit einem Lymphom haben manchmal eine Stärke an sich, die mich regelrecht umhaut. Ich kann sie nur bewundern dafür und bin froh, dass ich es miterleben darf.

Frage:

Auf einen Punkt möchte ich unbedingt noch eingehen. Komplementäre bzw. alternative Therapien. Was können Sie empfehlen bzw. wovon sollten die Patienten absoluten Abstand halten?

Es gibt keine alternativen bzw. komplementären Therapien, was man haben muss. Nur wenige Medikamente verbieten wir strikt. Mistel ist schlecht, weil es die B-Zell Lymphome stimulieren kann. Dadurch können die Lymphome schneller wachsen. Also kann ich eine Mistel-Therapie diesbezüglich nicht empfehlen.

Frage:

José Carreras Motto lautet "Unser Ziel ist klar: Leukämie muss heilbar werden. Immer und bei Jedem." Welche Chancen sehen Sie für die nahe Zukunft bei der CLL eine komplette Remission zu erzielen?

Zurzeit ist die Stammzelltransplantation die einzige Chance, eine Remission bei einer CLL zu erreichen. Wir haben aber auch Verläufe von nicht transplantierten Patienten von mehr als 10 Jahren erreicht, und das ist nicht schlecht. Wir bewegen uns hin zu einer kurativen Behandlung der CLL. Wenn ich aus dem Berufsleben aussteige, würde ich gern diesen Punkt erleben wollen. Das ist mein persönliches Ziel.

Dem Prof. Dr. Michael Hallek nochmals vielen Dank, dass er sich die Zeit nahm, sich unserer Problematik mit der CLL auseinander zu setzen.

Links:

Kompetenznetz Maligne Lymphome  http://www.lymphome.de
Die Deutsche Krebsgesellschaft http://www.krebsgesellschaft.de/
Die Deutsche Krebshilfe http://www.krebshilfe.de/
Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg http://www.dkfz-heidelberg.de/de/index.html

Bilder findet Ihr in der Galerie.

Eure Simone

© 2016 Selbsthilfegruppe für Leukämie- und Lymphompatienten Halle (Saale) / Sachsen-Anhalt

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