Ein Bluttest zur Früherkennung von Krebs - noch nie war die Medizin diesem Ziel so nah wie jetzt. Zwar spüren derzeit erhältliche Versionen noch nicht alle Krebsarten sicher auf, aber die Forschung schreitet enorm schnell voran. „In den nächsten Jahren werden sie noch zuverlässiger werden“, sagt Prof. Dr. Hans-Joachim Schmoll. Für den Onkologen, der seit 2000 Vorstandsvorsitzender der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft ist, besteht kein Zweifel: „Diese Tests läuten eine neue Entwicklungsstufe im Kampf gegen die Krankheit ein.“
Prof. med. Hans-Joachim Schmoll (Quelle SAKG)
Mit Superlativen sollte man sparsam umgehen, denn sie nutzen sich schnell ab. Dennoch scheinen sie in diesem Fall angebracht: Nach Ansicht von Hans-Joachim Schmoll bedeutet die rasante Entwicklung von Bluttests für die Früherkennung von Krebs genau das: „Eine neue Ära, etwas noch nie Dagewesenes.“
Der Mediziner, der 2020 mit einer der weltweit renommiertesten Auszeichnungen im Bereich der Onkologie, dem ESMO Award, ausgezeichnet worden ist, überblickt die Krebsforschung wie nur wenige seines Fachs, ist er doch seit mehr als 50 Jahren auf diesem Gebiet tätig. „Es steckt viel Lebenszeit in meiner Forschung“, sagt der 77-Jährige und verweist auf seine noch immer langen Arbeitstage und auf die noch nicht abgeschlossene Neufassung seines dreibändigen Buchs „Kompendium internistische Onkologie“, seit 1985 das Standardwerk für die Krebsbehandlung im deutschsprachigen In-und Ausland. Stolz ist Schmoll auch auf seine nationale Bekanntheit und die guten Kontakte, die an der MLU 2004 zur Gründung des überwiegend von der Deutschen Krebshilfe finanzierten „Landeszentrums für Zell- und Gentherapie“ führten, dessen Gründungsdirektor er bis 2020 war.
Als Schmoll im Jahr 1971 als junger Arzt an der Medizinischen Hochschule Hannover begann, sich mit Therapien gegen Krebs zu beschäftigen, steckte die Forschung, insbesondere in Deutschland, noch in den Anfängen. Es gab wenig wirksame Therapien, die Diagnose bedeutete allzu oft den Tod des Patienten. Gleich im ersten Jahr seiner Tätigkeit gelang es Schmoll, als weltweit erstem Mediziner - später auch zusammen mit einem amerikanischen Kollegen - eine hochwirksame Therapie gegen Hodenkrebs zu entwickeln. Heute, rund 50 Jahre später, stirbt kaum noch ein Mann an dieser Diagnose. „Es hat sich enorm viel getan, fast alle der oft noch jungen Patienten werden völlig geheilt.“
Die Entwicklung sei in keinem medizinischen Fach so dynamisch verlaufen wie in der Onkologie. Dies liege vor allem daran, dass spätestens in den 1990er Jahren die Forschung zur Krebsbiologie intensiviert wurde. Daraus ließen sich diverse diagnostische und therapeutische Optionen ableiten.
Zugleich wurde die Entstehung von Krebs immer besser verstanden. Das ist bis heute Grundlagenforschung: Was passiert in den Zellen? Wie und wo kann man dort ansetzen? Wie mit Medikamenten in die Prozesse eingreifen? „Wir verstehen zunehmend, was in den Zellen passiert“, sagt Schmoll. Das hat in der Vergangenheit bereits neue Therapien hervorgebracht, zum Beispiel jene, mit Hilfe monoklonaler Antikörper „Medikamente“ gezielt in die Zellen zu bringen und damit Krebszellen abzutöten.
„Doch seit etwa fünf Jahren sind wir in eine neue Dimension eingetreten“, sagt Schmoll. Die Behandlung könne inzwischen aufgrund der molekularen Mechanismen, die zunehmend verstanden werden, viel gezielter erfolgen. „Und diese Kurve zeigt weiter steil nach oben“, sagt Schmoll.
Dennoch: Selbst wenn es inzwischen möglich ist, dass Patienten mit Hilfe hochwirksamer Immuntherapien mehrere Lebensjahre gewinnen und oft sogar ein Langzeit-Überleben möglich ist, und selbst wenn diese Therapien insgesamt weniger Nebenwirkungen haben, so wird der Krebs noch häufig zu spät erkannt und verläuft daher noch viel zu oft tödlich.
Zukunftsmusik ist hingegen, seine Entstehung gänzlich zu verhindern. Solange das nicht möglich ist, bleibt die Frühdiagnostik der Schlüssel zum Erfolg. Das bedeutet: Der Krebs muss so früh erkannt werden, dass die Medizin noch rechtzeitig eingreifen kann. In einem Stadium also, in dem die Patienten häufig noch keine Symptome verspüren.
An dieser Stelle setzt die molekulare Diagnostik als eine der vielversprechendsten Entwicklungen an: Aus Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin und Speichel mit Hilfe eines Tests eine gesicherte Aussage darüber treffen zu können, ob und wo sich im Körper eines Patienten Krebszellen befinden und auch, um welchen Krebs es sich dabei handelt.
Derzeit arbeiten gleich mehrere Firmen an der Entwicklung derartiger Tests. Der bisher am häufigsten untersuchte ist der Galleri-Test, der nach so genannten methylierten Zellen sucht, jenen also, die bei der Entwicklung von Krebs als typische krankhaft veränderte Zellen auftreten. Zwar ist der Galleri-Test noch nicht von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen, aber er könne in den Vereinigten Staaten bereits zu einem relativ günstigen Preis auf Privatrezept erworben werden.
Auf dem jährlichen Krebskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurden bereits im Juni 2023 erste Ergebnisse einer Galleri-Studie präsentiert. Darin berichteten Forscher, dass der Test bei 5.400 Patienten mit Symptomen, die auf eine mögliche Krebserkrankung hindeuteten, angewendet worden sei. In zwei von drei Fällen habe er richtiggelegen. Diese ersten Ergebnisse zeigen, dass der Test noch nicht zuverlässig genug detektiert. Weder wurden alle Krebsarten erkannt, noch war es in allen Fällen möglich, bei einem positiven Ergebnis zu identifizieren, wo genau im Körper ein Tumor entsteht.
Doch Schmoll ist sich sicher, dass „die Unsicherheitsfaktoren solcher Tests abnehmen und ihre Genauigkeit dramatisch zunehmen wird“. Aktuellere Arbeiten zeigen WIE rasant diese Entwicklung voranschreitet: Bereits im Dezember 2023, also nur wenige Monate nach der Galleri-Studie, veröffentlichten Forscher der Rockefeller University New York im Fachblatt „Cancer Discovery“ ihre Ergebnisse über die Vorarbeiten zu einem Bluttest, bei dem ein von Tumorzellen produziertes Schlüsselprotein sehr früh erkannt wird. Die veröffentlichten Daten deuten auf ein enorm sensitives Potential von „LINE-1-ORF1p“, einem Protein also, dass nach Ansicht der Wissenschaftler, als ein entscheidender Marker für das Vorhandensein eines sehr frühen malignen Tumors im Körper angesehen werden kann. Die Daten deuten darauf hin, dass es mit Ausnahme von Leukämie oder einem Hirntumor bei fast allen malignen Tumoren im Blut nachweisbar ist. Nach Ansicht von Hans-Joachim Schmoll besonders wichtig: „Dieses Protein ist bereits in einem sehr frühen Tumor-Stadium nachweisbar.“ Das würde den Test extrem massentauglich und unglaublich effektiv machen, sowohl bei der Früh- als auch bei der Verlaufserkennung. So seien in der Studie zum Beispiel 90 Prozent der Fälle von Karzinomen im Magen - sowie 100 Prozent in der Speiseröhre erkannt worden.
Schmoll verweist auf die unglaubliche Bedeutung weltweit, würden sich diese Daten bestätigen: „Es ist der erhoffte Gamechanger“ und womöglich ein großer Anwärter auf den Nobelpreis für das große internationale Team, das diese molekulare Vorarbeit geleistet hat.“
Mit zuverlässigen Bluttests könnte der gesamte Vorsorgeaufwand extrem verbessert werden. Invasive oder für die Patienten unangenehme Vorsorgeuntersuchungen, wie etwa die Mammografie oder die Darmspiegelung, müssten dann nur noch erfolgen, wenn es zuvor einen Hinweis auf eine Erkrankung im Bluttest gegeben habe.
Schmoll geht davon aus, dass die Bluttests in etwa fünf Jahren noch genauer sein werden, was ihre Akzeptanz auch bei den Patienten steigern wird. „Ein Prozess mit exzellenten Aussichten“ sei das, an dessen Ende das oberste Ziel, die Früherkennung von Vor- und Frühstadien, stehen wird, und nicht mehr die Behandlung von bereits vorhandenem Krebs. „Wenn sich die Daten in weiteren Studien reproduzieren lassen, dann wird der Bluttest gegen Krebs kommen.“
Das würde dann auch einen Paradigmenwechsel in der Behandlung bedeuten: Bisher wird in der Regel ein primärer Tumor entfernt. Außerdem erhält der Patient eine prophylaktische Therapie, etwa eine Chemotherapie oder Hormontherapie, um zu vermeiden, dass eventuell im Gewebe noch nicht sichtbare Mikro-Tumore verblieben sind. Diese Strategie birgt die Gefahr einer Übertherapie, außerdem ist die Belastung für die Patienten hoch. „Hier könnten die Bluttests eine entscheidende Verbesserung bringen, da sie auch noch molekularbiologisch kleine Tumoranteile nachweisen können.“
In den Vereinigten Staaten will man, nicht zuletzt mit Hilfe der neuen Bluttests und im Rahmen einer nationalen Strategie, die Zahl der Krebstoten innerhalb der nächsten 25 Jahren halbieren. Bereits 2016 sprach deshalb der damalige US-amerikanische Vize-Präsident Joe Biden auf dem amerikanischen Krebskongress ASCO in Boston in Anspielung auf die erste bemannte Mondlandung von einem „Cancer Moonshot“, den es zu erreichen gelte. Auch Hans-Joachim Schmoll, durch dessen Forschung der Standort Halle in der Krebsforschung international sichtbar wurde, nahm an dieser Veranstaltung teil. Schon damals sei klargeworden, dass die Bekämpfung von Krebs als eine globale Aufgabe verstanden werden muss. Die neuen Bluttests sind für Schmoll nur ein weiterer Schritt in der Entwicklung, an deren Ende es für ihn nur eine Gewissheit gibt: „Ich bin zu 100 Prozent sicher: Am Ende werden sehr viel weniger Todesfälle stehen.“
Die Sachsen-Anhaltische Krebsgesellschaft: Landesweites Netz
Als Prof. Hans-Joachim Schmoll im Jahr 1995 die Leitung der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin übernahm, gab es in Sachsen-Anhalt darüber hinaus kaum hilfreiche Strukturen zur Behandlung von Krebserkrankungen. Nicht zuletzt aus diesem Grund war der Onkologe im Jahr 2000 auch federführend bei der Gründung der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft (SAKG).
Seither ist die Einrichtung mit Hauptsitz in der Paracelsusstraße in Halle (Saale) stetig gewachsen und inzwischen im Bundesland als Institution für Krebsbetroffene und Angehörige flächendeckend aktiv. Sie verfügt über ein Netz aus landesweit sechs Psychosozialen Beratungsstellen und zehn damit verbundenen Außenberatungsstellen. So gerüstet verfolgt sie ihr erklärtes Ziel: Der besseren Früherkennung von Krebs.
Unter dem Dach der SAKG gilt es auch, die Aufklärungsarbeit weiter zu intensivieren. Nach Auskunft von SAKG-Geschäftsführer Sven Weise ist Sachsen-Anhalt zugleich ein „Vorsorge-Muffel-Land“. Soll heißen: Hier nutzen bisher weniger Men-schen als im Bundesdurchschnitt die gängigen Untersuchungen zur Früherkennung.
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