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Doppeltes Risiko-Betroffene landen im Teufelskreis: Erst kam der Krebs, dann die Armut

Der Krebs ist zurück gedrängt, doch viele Betroffene können nicht aufatmen. Sie geraten in einen Teufelskreis aus wirtschaftlicher Not und sozialem Abstieg, der zu Frühberentung und Armut führt. Was Krankenkassen, Arbeitsagenturen und Rentenversicherungen ändern müssten – denn viele Patienten, könnten und wollten noch arbeiten, wären wertvolle Fachkräfte.

Noch nie war die Krebstherapie so erfolgreich wie heute. Und auch wenn keine Heilung möglich ist, lässt sich die Erkrankung oft so weit behandeln, dass sie nur noch minimal vorhanden ist und ein fast normales Leben ermöglicht. Mediziner sprechen deshalb heute oft von Krebs als einer chronischen Erkrankung. Eine begrüßenswerte, positive Entwicklung.

Nach der Angst, den Krebs nicht zu überleben, kommt die Existenzangst

„Wesentlich weniger positiv ist dagegen die wirtschaftliche Situation vieler Patienten“, sagt Rainer Göbel, seit 20 Jahren in der Krebsselbsthilfe aktiv, speziell für Leukämien und Lymphome. Er hat Gruppen für Betroffene gegründet. Der IT-Experte war damals selbst an Leukämie erkrankt, hat die Krankheit im Griff und ist inzwischen Leiter der IT des Gemeinsamen Krebsregisters in Berlin.

Im Rahmen seiner ehrenamtlichen Tätigkeiten arbeitet er außerdem wissenschaftlich mit an der Studie „Krebs und Armut“ des Instituts für Angewandte Forschung Berlin, der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Hochschule für Wirtschaft und Recht.

Je früher Krebs, desto größer Armutsrisiko

Die Freude darüber, dass der Krebs verschwunden oder zumindest auf ein erträgliches Maß geschrumpft ist, wird durch massive wirtschaftliche Einbußen, Arbeitslosigkeit und Abschieben in eine (meist dürftige) Frührente, überschattet. Auf einen Nenner gebracht: Die körperliche Existenz ist zwar nicht mehr bedroht, aber die wirtschaftliche.

Wie schnell das jeden treffen kann, zeigen zwei Beispiele, die Rainer Göbel aus den Gruppen kennt über die er berichtet:

  1. Sabrina

Die 22-Jährige hat bereits ihre Ausbildung abgeschlossen, als sie an einem Hirntumor erkrankt. Heute gilt sie als geheilt, ist aber nur eingeschränkt arbeitsfähig durch die Folgen der Krebstherapien. Sie studiert, findet keine Arbeit, erhält Erwerbsminderungsrente und etwas finanzielle Unterstützung durch die Mutter, bekommt einen Minijob in einer Krebsgruppe. Wenn man wie Sabrina vor der Erkrankung noch nicht richtig gearbeitet hat, beträgt die Erwerbsminderungsrente oft nur wenige 100 Euro, so dass man insgesamt von unter 1.000 Euro leben muss.

  1. Mike

Der IT-Unternehmer ist 33 Jahre alt, als er die Diagnose Leukämie erhält. Die teilweise bis heute anhaltenden Therapien halten den Blutkrebs in Schach, so dass er eingeschränkt wieder arbeiten kann, sein Geschäft muss er jedoch aufgeben, seine Frau verlässt ihn mit den Kindern.

Mit Ersparnissen hält er sich über Wasser, die allerdings unter Hartz-IV-Niveau liegen. Trotzdem beharrt das Jugendamt auf Unterhaltszahlungen. Weil er sie nicht leisten konnte, müsste er gegen das Jugendamt klagen. Nach großen Bemühungen findet er erst mit 46 Jahren wieder einen Job, eine Teilzeitstelle.

Nicht ausreichend Geld für Miete, Essen und Medikamente

Sabrina und Mike stehen für viele Schicksale, die teilweise oft nicht mehr die Miete zahlen können, nicht ausreichend Geld für Kleidung und Essen sowie die begleitende Medikationen, die nicht von der Kasse gezahlt werden. Wie viele Krebspatienten sind auf diese Weise betroffen? Immerhin gibt es bei Krebs 175.000 Neuerkrankungen pro Jahr, grob geschätzt überleben mehr als zwei Drittel.

Jeder dritte Krebspatient kehrt nicht mehr ins Arbeitsleben zurück

„Nach drei Jahren haben ein Drittel der Krebspatienten, die vorher berufstätig waren, nachher nicht mehr in ihren Beruf zurückgefunden“, nennt Rainer Göbel die harten Fakten, die zum Ergebnis der Studie gehören. Dabei wurden mehr als 300 Krebspatienten befragt, die Aussagen mit den Routinedaten von rund 3300 erkrankten AOK-Versicherten ausgewertet. Die Betroffenen schlittern in eine Abwärtsspirale, die in Armut mündet.

Wie Krebspatienten in den finanziellen Ruin getrieben werden

Die Weichen dafür stellt letztendlich unsere Gesellschaft, die Hauptrollen in diesem Drama spielen

  • die Krankenkassen,
  • die Arbeitsagenturen
  • die Rentenversicherung

Die einzelnen Stationen oder, wenn man beim Drama bleiben möchte, die Akte eins bis drei:

  1. Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber: Wer an Krebs erkrankt – oder an einer anderen, langwierigen Erkrankung, die die Arbeitsfähigkeit einschränkt – bekommt erst mal seinen Lohn normal weiter und zwar für sechs Wochen.
  2. Daran schließt das Krankengeld in Höhe von 70 Prozent des Bruttogehalts, für 78 Wochen, also eineinhalb Jahre, das von den Krankenkassen gezahlt wird.
  3. Danach folgt Arbeitslosengeld I mit 60 Prozent des Nettoeinkommens für 18 Monate, danach Hartz IV, also die Grundsicherung mit aktuell 432 Euro für einen alleinstehenden Erwachsenen.

Warum Arbeitsagenturen überfordert sind

Weil die Mitarbeiter immer nur befristet Verträge für zwei Jahre haben, könnte Erfahrung mangeln, die vor allem für die Vermittlung der ehemaligen Krebspatienten von Vorteil wäre. Er selbst hatte während der zwei Jahre, die er Kontakt mit der Arge hatte, drei Sachbearbeiter.

„Außerdem gibt es nur eine Vermittlungsstelle für Akademiker, eine für Schwerbehinderte, dabei kann ein Schwerbehinderter auch hochqualifizierter Akadamiker sein“, nennt Rainer Göbel ein weiteres der vielen Probleme.

Ein anderes ist etwa, dass es Fortbildungsmöglichkeiten nicht in Teilzeit gibt – was für die Patienten wichtig wäre, etwa um auf den aktuellen Stand ihres Berufs zu kommen. Doch der Vollzeitkurs würde die Kräfte übersteigen.

Im Reha-Antrag kann Verrentung versteckt sein

Viele der Patienten machen jedoch gar keine Bekanntschaft mit der Arge, sondern werden schon vorher in die Rente geschickt, obwohl sie noch arbeiten könnten und möchten. „Oft werden die Patienten noch während sie Krankengeld bekommen in die Erwerbsminderungsrente ausgesteuert“, warnt Rainer Göbel. Das versuchten die Krankenkassen zunehmend, wenn auch nicht alle, ergänzt er.

So gäbe es Fälle, in denen die Patienten noch während der Chemo von der Krankenkasse angerufen und aufgefordert werden, einen Reha-Antrag zu stellen. Sie willigen ein und selbstverständlich kann die Prognose zu einem so frühen Zeitpunkt der Therapie nicht sehr positiv ausfallen, womit automatisch das Rentenverfahren eingeleitet wird.

Kostenfaktor Patient wird von der Krankenkasse in die Rentenkasse abgeschoben

In bestimmten Fällen gilt dann der Antrag auf Reha-Leistungen als Rentenantrag (§ 116 SGB VI) „Ich möchte damit nicht sagen, dass dieses Gesetz völlig falsch ist, es wird nur manchmal etwas zu früh angewendet“, formuliert der Krebsspezialist das vorsichtig. Der Kostenfaktor Patient wird sozusagen von einem Leistungsträger zum anderen geschoben, von der Krankenkasse zur Rentenkasse.

Auf diese Weise wird der Patient in die Vollerwerbsminderungsrente ausgesteuert, die meist gering ausfällt, bei den meisten Betroffenen weit unter 1.000 Euro liegt, etwa bei der Grundsicherung. Nur wenigen gelingt es dann später, wenn es ihnen wieder besser geht und sie wieder, zumindest teilweise arbeiten können, daraus wieder herauszukommen.

Die Möglichkeit der Teilerwerbsrente ist zu wenig bekannt

Für sie wäre die Teilerwerbsminderungsrente eine Option, die jedoch in Deutschland viel zu selten in Anspruch genommen wird, wie die Studie ebenfalls offenlegt. Nur rund 1.000 Patienten waren demnach Teilerwerbsminderungsrentner, mehr als 22.000 Vollerwerbsminderungsrentner „Die Rentenversicherung ist meiner Meinung nach nicht flexibel genug, diese Möglichkeit zu propagieren“, kritisiert der Fachmann.

Hier müsse ein Imagewechsel stattfinden, damit der Patient die Wahlfreiheit hat, die Teilerwerbsrente zu beziehen und mit einem Teilzeitjob zu ergänzen. Momentan scheint es so zu sein, dass die Hürden für die Teilerwerbsrente höher liegen als die der Vollerwerbsminderungsrente.

Krebserkrankung bringt viele an den Rand der Armut

Tatsache ist jedoch laut der Studie, dass 93 Prozent nach der Erkrankung weniger Geld zur Verfügung haben als vorher. Vor allem diejenigen, deren Haushaltsnettoeinkommen vor der Erkrankung über 2000 Euro lag, müssen empfindliche Einbußen hinnehmen, haben nach dem Krebs meist nur noch weit weniger als die Hälfte – eben die bereits angesprochenen rund 1.000 Euro.

Adäquate Arbeitsstelle nach dem Krebs ist die Ausnahme

Die wenigen, die es schaffen, in Teilzeit zu arbeiten oder sich aus der Not heraus selbständig machen, arbeiten jedoch oft nicht mehr ihrer Qualifikation entsprechend. In ihre alte Stelle kehren bei weitem nicht alle zurück. Das liegt daran, so Rainer Göbel, dass viele Arbeitgeber zu wenig flexibel sind. Nur wenige Chefs nehmen den Ex-Kollegen wieder auf.

Die Möglichkeit, entsprechend der Krankheitsfolgen die Arbeitszeit zu reduzieren, auf etwa 20 Stunden oder noch weniger, haben nur die wenigsten. Dabei würden beide Seiten profitieren – das Unternehmen durch Wissen, Erfahrung und Einsatzbereitschaft des Patienten, der wiederum hat nicht nur finanzielle Vorteile, sondern auch einen Gewinn für seine psychische Situation.

Armut, Arbeitslosigkeit und Frühberentung belasten die Psyche massiv

Nicht nur die finanzielle Notlage mit wenig Aussicht auf Besserung bedroht die Existenz, aber auch die Psyche. Zusätzlich deprimiert die Betroffenen das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, den sozialen Halt zu verlieren, vom Arbeitsleben, damit auch Erfolg, Kommunikation und kollegialem Miteinander ausgeschlossen zu sein.

Das hohe Potenzial der Patienten wird nicht genutzt, von wegen Fachkräftemangel

„Obwohl viele von ihnen gut ausgebildet sind und das Potenzial haben, weiterzuarbeiten, wenn auch nicht unter denselben Bedingungen wie vorher – also mit etwas weniger Termindruck, reduzierter Stundenzahl“, berichtet er. Gerade in Hinblick auf die Dauerklage der Unternehmer über den Fachkräftemangel ist unverständlich, dass dieses Potenzial ignoriert wird.

5 Vorschläge gegen Armutsrisiko und soziales Abseits

Letztendlich sind nicht nur die Arbeitgeber gefragt, sondern auch Krankenkassen, Arbeitsagenturen und Rentenkasse in der Pflicht, damit sich diese Misslage ändert und die Situation der Patienten verbessert. „Das größte Problem ist, dass dieses System nicht aufeinander abgestimmt ist“, nennt Rainer Göbel den größten Kritikpunkt. Eine konzertierte Aktion, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt, wäre hier die Lösung. Auf Grund seiner Erfahrung hat Rainer Göbel ganz konkrete Verbesserungsvorschläge:

  1. Krankenhaus: Schon zu Beginn der Krebstherapie sollte ein Sozialarbeiter in den Kliniken den Patienten etwas mit begleiten. Dabei sollte nicht nur beraten werden über Schwerbehindertenausweis und Reha, sondern wie bleibe ich im oder bekomme einen Job.
  2. Krankenkassen: Den Patienten nicht in die Rente abschieben, sondern das Krankengeld so lange zu zahlen, wie der Patient das braucht. Unter Umständen müsse man dann diesen Anspruch auch verlängern, über die eineinhalb Jahre hinaus. .Bestimmte Therapien, etwa bei Brustkrebs dauern eben länger.
  3. Rentenversicherung: Erwerbsminderungsrente sollte existenzsichernd sein, ohne dass etwa Eltern noch dazu zahlen müssen. Die Patienten sollten nicht automatisch in eine Vollerwerbsminderungsrente oder die Grundsicherung abgeschoben werden.
  4. Arbeitsagenturen: Taskforce, ähnlich der Integrationsfachdienste, die es zwar noch gibt, aber vielfach ebenfalls durch Sparmaßnahmen reduziert wurden. Diese Taskforce sollte einerseits den Patienten an die Hand nehmen bezüglich einer Teilerwerbsminderungsrente, andererseits sich gemeinsam bemühen, ihn wieder ins Berufsleben zurückzubringen. Mit dem neuen Teilhabegesetz haben auch Behinderte ein Recht auf Arbeit.
  5. Arbeitgeber: Mehr Offenheit und Flexibilität in Arbeitszeiten und Arbeitsbelastung, Patienten ein- oder wiedereinzustellen. Qualifikation liegt sonst brach und könnte in Zeiten des Fachkräftemangels Lücken schließen.

Das betrifft Patienten, die Arbeitnehmer waren oder sind. Ganz anders sieht es für Selbstständige aus, für sie sind finanzielle und damit soziale Risiken noch wesentlich größer. Viel sind für den Notfall Krankheit nicht ausreichend versichert, weil das auch sehr teuer ist. Die Politik sollte deshalb überlegen, ob sie nicht ebenfalls in die Sozialkassen einzahlen, damit sie Arbeitslosengeld und Rente erhalten, wie das in vielen anderen Ländern ist.

5 Tipps, was Krebspatienten selbst tun können

  1. Versuchen Sie, so weit es die Krankheit zulässt, schon während der Therapie Ihren Beruf nicht aus den Augen zu verlieren, sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber, manche sind durchaus aufgeschlossen, wenn es um Wiederaufnahme der Tätigkeit geht.
  2. Wichtig ist, den Kontakt zur früheren Arbeitsstelle, zu den Kollegen zu halten, betont Rainer Göbel. Außerdem: „Suchen Sie das Gespräch mit der Personalvertretung, vielleicht gibt es auch einen Schwerbehindertenbeauftragen“, führt er aus.
  3. Sinnvoll kann sein, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen, weil es dadurch Nachteilsausgleiche und Kündigungsschutz gibt.
  4. Fragen Sie in Ihrer Arge nach dem Integrationsfachdienst
  5. Kontaktieren Sie eine Selbsthilfeorganisation (etwa Haus der Krebsselbsthilfe), hilfreich sind auch die Landeskrebsgesellschaften.

Sie informieren nicht nur zur Krankheit, sondern bieten auch Orientierungshilfe im Gesundheits- und Sozialsystem und Unterstützung bei psychischen und sozialen Problemen, wie sie in ihren Leitsätzen formulieren.

Quelle:

https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/

 

 

© 2016 Selbsthilfegruppe für Leukämie- und Lymphompatienten Halle (Saale) / Sachsen-Anhalt

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