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Leukämie-Online: Von der Blog-Software zum weltweiten Netzwerk

Leukämie-Online (www.leukaemie-online.de) ist eine unabhängige, deutschsprachige und gemeinnützige Wissens- und Kommunikationsplattform zum Thema Leukämie. Gegründet wurde sie vor mehr als 10 Jahren von Jan Geißler aus München, selbst chronische myeloische Leukämie (CML)-Patient. Wie es zu der Gründung kam, wie sich die CML-Patientenvertretung inzwischen entwickelt hat, welche Ziele erreicht wurden und noch erreicht werden sollen, darüber sprach Herr Geißler in einem Interview mit JOURNAL ONKOLOGIE.

JOURNAL ONKOLOGIE: Herr Geißler, Sie haben Leukämie-Online gegründet. Könnten Sie bitte kurz erzählen, wie es dazu kam?

Geissler: Bei mir wurde im Jahr 2001 im Alter von 28 Jahren eine CML diagnostiziert. Zu dieser Zeit war im deutschsprachigen Raum noch nichts über neue Therapien bekannt. Ich habe über das Internet zu verschiedenen Patienten Kontakt bekommen, die in Studien eingeschlossen waren – u.a. zu einer Angehörigen eines Patienten aus Singapur, die alle wissenschaftlichen Publikation von der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft der Hämatologie (ASH) aufgelistet und in patientenfreundlicher Sprache veröffentlicht hat. Dort fand ich den Hinweis auf ein neues Medikament und einen Arzt aus Mannheim, der an einer Publikation beteiligt war. Ich nahm direkt Kontakt auf und wurde in eine Phase-II-Studie eingeschlossen, in der Imatinib in Kombination mit Interferon getestet wurde. Ich habe damals alles an medizinischen Publikationen verschlungen, und da viele deutsche Patienten keine sehr guten Englischkenntnisse haben, wollte ich ihnen diese Informationen auch zugänglich machen. So habe ich 2002 an einem Wochenende eine Blog-Software auf dem Server installiert und Leukämie-Online gestartet.

JOURNAL ONKOLOGIE: Wie geht es Ihnen heute?

Geissler: Ich wurde bis 2006 mit Imatinib und Interferon behandelt. 2006 konnte ich Imatinib absetzen und im Oktober 2014 habe ich die letzte Interferondosis genommen. Davor war ich 2 Jahre in einer tiefen molekularen Remission und bin jetzt etwa seit 2 Jahren PCR-negativ. Die CML ist also nicht mehr nachweisbar.

JOURNAL ONKOLOGIE: Fühlen Sie sich noch als CML-Patient?

Geissler: Ich fühle mich schon noch als CML-Patient, denn ich glaube, wenn man noch genauer messen könnte, würde man die CML doch noch finden. Ich lasse alle 6 Wochen eine Polymerasekettenreaktion (PCR) machen, um zu prüfen, ob die CML zurückgekehrt ist. Denn etwa 60% erleiden nach dem Absetzen in tiefer molekularer Remission einen Rückfall. Die regelmäßigen Monitoring-Intervalle machen mir bewusst, dass da etwas schlummert, was jederzeit wieder auftreten kann.

JOURNAL ONKOLOGIE: Was bietet die Internetplattform Leukämie-Online?

Geissler: Wir berichten vom ASH-Kongress. Darüber hinaus haben wir eine patientenfreundliche Zusammenfassung der ELN-Therapieempfehlungen sowie eine Zusammenfassung der Leitlinie der CML, übersetzt in 18 Sprachen. Daneben existiert ein CML-Ratgeber sowie eine komplette Studiendatenbank, in der aktuell rekrutierende Studien aufgeführt sind. Es gibt einen Link zur EMA, wo man die Dokumentation aller auf EU-Ebene zugelassenen Medikamente findet. Eines der wichtigsten Elemente ist das Forum, das CML-Patienten, aber auch Patienten mit anderen hämatologischen Krebserkrankungen, die Möglichkeit bietet, sich gegenseitig auszutauschen. Dort stehen mittlerweile über 22.000 Beiträge, und das Forum ist inzwischen auch eine Wissensdatenbank, weil es kaum ein Thema gibt, das dort noch nicht diskutiert wurde.

JOURNAL ONKOLOGIE: Wie beurteilen Sie die Versorgungssituation für CML-Patienten in Deutschland?

Geissler: Die Versorgungssituation in Deutschland ist grundsätzlich sehr gut. Wir haben Zugang zu allen zugelassenen Arzneimitteln und nicht wie z.B. in England ein grundsätzliches Zugangsproblem zu den zugelassenen Tyrosinkinasehemmern. Jeder Patient kann eine Therapie bekommen, eine Zweitmeinung einholen, sich an ein spezialisiertes Klinikum überweisen lassen und frei wählen, wo er in Deutschland therapiert wird. Das ist in vielen anderen Ländern nicht gegeben.

Es gibt natürlich auch Situationen, die nicht optimal sind. In Deutschland kann und darf jeder Onkologe die CML behandeln. Die CML ist aber eine seltene onkologische Erkrankung, und die Wahrscheinlichkeit, dass ein niedergelassener Onkologe mehr als 1-2 CML-Patienten hat, ist gering. Die CML wird unterschätzt, da sie heute gut therapierbar ist. Patienten, die in chronischer Phase diagnostiziert und früh therapiert werden, können ein normales Leben führen und haben eine normale Lebenserwartung. Eine schlecht behandelte CML ist aber weiterhin eine lebensbedrohliche Erkrankung. Es passieren noch viele Fehler: Zwischen Medikamenten wird hin und her gewechselt, Therapie-Stopps werden gemacht ohne eine entsprechend sensitive PCR. Viele Labore bieten eine PCR an, aber Standardisierung und Qualitätsmerkmale fehlen. Es werden überflüssige Mutationsanalysen gemacht – oder gar keine. Es werden Medikamente ausgewählt, ohne dass man den Mutationsstatus kennt, und auf die die Patienten dann möglicherweise nicht ansprechen.
 
Deswegen bin ich auch an der Deutschen CML-Allianz beteiligt. Diese Initiative wird von der Uniklinik Jena geleitet und soll alle beteiligten Akteure zusammenbringen, um die Versorgungssituation in Deutschland insgesamt zu verbessern. Es handelt sich um eine Kooperation zwischen den Kliniken, die auf dem neuesten Stand sind, den niedergelassenen Onkologen und den Patienten, die ihre Stimme in die Fachdiskussion mit einbringen wollen, weil Ärzte oftmals gar nicht wissen, was für den Patienten das Wichtigste ist.

JOURNAL ONKOLOGIE: Welche Fragen werden häufig an Sie herangetragen?

Geissler: Das Wichtigste für die Patienten ist natürlich zu überleben. Primärfragen sind: Spreche ich auf die Therapie richtig an? Bin ich im sicheren Hafen oder muss ich mich sorgen? Fragen, die oft dazu kommen, sind: Wie gehe ich mit Nebenwirkungen um? Ist es wichtig, dass ich die Therapie regelmäßig nehme? Wie ist es mit der Familienplanung?

Der Druck, der auf den Ärzten lastet, lässt ihnen nicht sehr viel Zeit für Beratung zu Themen rund um Lebensqualität oder Nebenwirkungsmanagement – z.B. von niedrigschwelligen Nebenwirkungen, die zwar kein Leben gefährden, aber auf die Dauer unglaublich nerven können. Hier sind Selbsthilfegruppen wie Leukämie-Online wichtig, die Patienten in diesen Situationen helfen können, darauf hinweisen, welche Fragen man beim Arzt priorisieren muss, oder wo man eine Zweitmeinung einholen kann.

JOURNAL ONKOLOGIE: Der Zugang zu Therapie und Diagnostik ist in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Welche Aktivitäten gibt es hier zur Verbesserung der Situation?

Geissler: Das CML Advocates Network, das ich mitgegründet habe, ist ein weltweites Netzwerk von 103 CML-Organisationen in 78 Ländern, das einen guten Vergleich bietet. Einmal pro Jahr veranstalten wir die Konferenz CML-Horizons und laden die Leiter unserer Mitgliedsorganisationen ein und schulen sie. Wir laden auch Ärzte aus Europa und Entwicklungsländern ein, die die Versorgungssituation in verschiedenen Ländern darstellen. Denn wenn ein Land die Ressourcen nicht hat, um CML-Patienten zu versorgen, können wir keine westlichen Standards anlegen.

Für die Entwicklungsländer gibt es das GIPAP-Programm (Glivec® International Patient Assistance Program). Novartis stellt schon seit dem Jahr 2000 mehreren 10.000 Patienten Imatinib in Ländern kostenlos zur Verfügung, in denen keine Therapie verfügbar ist oder eine Therapie nicht erstattet wird.

In Ländern außerhalb Europas gibt es noch das Problem, dass Arzneimittel generisch hergestellt werden und Patienten verunsichert sind, ob denn das Arzneimittel wirksam und sicher ist. Im Bereich Imatinib-Generika und Arzneimittelkopien waren wir in den letzten Jahren sehr aktiv, um Patienten und Patientenvertretern eine Informationsbasis zu geben, damit sie sich mit ihren Regierungen auseinandersetzen und entsprechende Informationen einfordern können.

JOURNAL ONKOLOGIE: Wie sieht die Zukunft aus, welche neuen Pläne gibt es?

Geissler: Unser Netzwerk wächst immer mehr zusammen. Wir haben eine große Therapietreue-Studie mit 2.546 Patienten in 79 Ländern durchgeführt und sehr viel über absichtliche und unabsichtliche Therapieuntreue herausgefunden. Die Daten wurden auch auf den Hämatologen-Kongressen EHA und ASH präsentiert. Wir wissen jetzt, dass 20% der Patienten schwer therapieuntreu sind. Eine ähnliche Studie machen wir jetzt zum Thema CML und Schwangerschaft. Hier ist die Datenbasis noch sehr schwach. Wir bewegen uns mittlerweile ganz stark in der Forschung und arbeiten sehr eng mit den CML-Forschungsgruppen wie u.a. mit der Deutschen CML-Studiengruppe zusammen. Wir versuchen dort die Patientenstimme einzubringen, damit die Forschung auch wirklich die Bedürfnisse der Patienten erfüllt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Quelle:

https://www.journalonko.de

 

© 2016 Selbsthilfegruppe für Leukämie- und Lymphompatienten Halle (Saale) / Sachsen-Anhalt

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