Das Erreichen der Therapiefreien Remission (TFR) bleibt zur Zeit weiterhin das meistdiskutierte Thema zur CML. Am diesjährigen ASH-Kongress war die erste Session dem Thema TFR gewidmet. Ausserdem gab es viele Poster zu diesem Thema.
Insgesamt gibt es keine grossen Neuigkeiten im Bereich der TFR, aber die Forschung dazu wird weiterhin intensiv betrieben. Über all die verschiedenen Studien gesehen, muss etwa die Hälfte aller Patienten, die einen Absetzversuch nach Jahren tiefen molekularen Ansprechens (tiefer als MR4, BCR-ABL <0.01) wagen, die Behandlung wieder aufnehmen. Die wichtigsten offenen Fragen sind, wie sich die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Absetzen für jeden individuellen Patienten vorhersagen lässt, die Notwendigkeit einer lebenslangen PCR-Überwachung zur Diagnose potentieller später Rückfälle und ob ein zweiter Versuch nach einem Fehlschlag des ersten machbar und sicher ist.
Hier nun eine Zusammenfassung der bei ASH zum Thema Therapiestopp präsentierten Daten.
Langzeitbeobachtung von Patienten in TFR
Prof. Philippe Rousselot vom Centre Hospitalier de Versailles (Frankreich) zeigte Daten der Beobachtung von 128 Patienten über einen Zeitraum von 15 Jahren nach dem Absetzen zu späten Rückfällen und zweiten Absetzversuchen. Von den 128 Patienten hatten 54% ein geringes, 26% ein mittleres und 20% ein hohes Risikoprofil. Die mittlere Behandlungsdauer mit Tyrosinkinasehemmern (TKI) vor dem ersten TFR-Versuch betrug 7.4 Jahre. 31% der Patienten hatte vor den TKI eine Behandlung mit Interferon erhalten. 61% der Patienten wurde ausschliesslich mit Imatinib behandelt, und 39% der Patienten erhielten zum Zeitpunkt des Absetzens der Behandlung einen TKI der zweiten Generation. Die mittlere Beobachtungsdauer beim ersten Absetzversuch betrug 5.4 Jahre. Die TFR-Anteile waren 57.6% nach 1 Jahr, 53.8% nach 3 Jahren, 51.6% nach 5 Jahren und 44.5% nach 7 Jahren. Die am längsten anhaltende TFR ist 14.9 Jahre.
Längere Behandlungsdauer mit TKI und längere Dauer der MR4.5 wurden mit einer höheren TFR-Rate in Verbindung gebracht. Es war ausserdem ein begünstigender Trend bei vorausgegangener Behandlung mit Interferon beobachtet. Patienten mit einem TKI der zweiten Generation zeigten ähnliche TFR-Raten wie mit Imatinib behandelte Patienten.
57 Patienten erlitten einen Rückfall, einschliesslich 8 Patienten (14%) mit einem späten Rückfall. Von diesen 8 Patienten erlitten 4 Patienten nach mehr als 5 Jahren einen Rückfall. Der späteste Rückfall wurde nach 6.4 Jahren beobachtet. Bei den Patienten mit späten Rückfällen ging im Mittel MR 4.5 nach 10 Monaten verloren und MR4 nach 22 Monaten mit einer langanhaltenden Periode zwischen MR4 und MR3 fluktuierender BCR-ABL-Werte.
Von den 57 Patienten, die die Behandlung mit einem TKI wiederaufnehmen mussten, unternahmen 31% einen zweiten Absetzversuch („TFR2“). Die mittlere Behandlungsdauer zwischen den beiden Versuchen betrug 2.9 Jahre, die summierte Dauer der Behandlung mit TKI betrug 9 Jahre. 15 Patienten (48%) erhielten vor TFR2 Imatinib, 16 Patienten (52%) wurden mit einem TKI der zweiten Generation behandelt. Die mittlere Beobachtungsdauer bei TFR2 betrug 3.4 Jahre. Die TFR2-Anteile betrugen 53.9% nach 1 Jahr, 45.6% nach 3 Jahren und39,9% nach 5 Jahren. Die am längsten Anhaltende TRF2 ist 9 Jahre. Es wurden keine Einflussfaktoren für ein besseres TFR2-Ergebnis festgestellt wie z.B. die Umstellung auf einen TKI der 2. Generation, die keinerlei Vorteile zeigten. 17 Patienten erlitten einen Rückfall einschliesslich 3 Patienten (17%) mit späten molekularen Rückfällen. Als Anekdote wurde erwähnt, dass 5 Patienten einen dritten TFR-Versuch unternahmen, von denen einer in seit 5.2 Jahren in TFR3 verbleibt.
Zwischen „stabilen“ und „instabilen Remissionen in TFR1 wurde ein Unterschied beobachtet. Von denen, die bei allen PCR-Messungen nach dem Absetzen unterhalb MR4 verblieben („stabile molekulare Remission“), blieben 96.5% langfristig in der TFR, während von den Patienten, deren PCR über MR4 anstieg, aber unterhalb der MMR-Schwelle, dem Kriterium für die Wiederaufnahme der Behandlung blieb, konnten nur 67.3% in TFR bleiben.
Basierend auf der 15jährigen Erfahrung kann jetzt auch über die langfristige Perspektive bei TFR1 und TFR2 berichtet werden. Unter den Patienten, die einen molekularen Rückfall erlitten, beobachteten die Forscher 14% bzw. 17% späte Rückfälle mehr als zwei Jahre nach TFR1 bzw. TFR2. Anders als in den früheren Berichten aus den STIM-Studien scheint es kein wirklich langfristiges Plateau der TFR zu geben. Deshalb erscheint eine langfristige molekulare Überwachung der Patienten in TFR unabdingbar.
Zweiter Stop-Versuch (TFR2): Erfolgreich bei ca. 31% der Patienten
Laurence Legros aus Villejuif (FR) stellte die Daten der RE-STIM-Studie vor, einer französischen beobachtenden multizentrischen Studie, die alle Fälle von TFR2-Versuchen sammelt, unabhängig von der Art und Dauer der TKI-Behandlung, der Dauer der MR4.5 und der Begründung für den Versuch des Absetzens der Behandlung.
Die CML-Patienten, die nach einem ersten TFR-Versuch die Therapie wiederaufnehmen mussten, mussten eine anhaltende MR4.5 (PCR <0.0032%) vorweisen können, um für das Absetzen in Frage zu kommen. Der Auslöser für die Wiederaufnahme der Behandlung war der Verlust der MMR.
Zum Zeitpunkt der Auswertung der Daten im Juli 2019 waren 106 Patienten in die Studie eingeschlossen (Altersmedian 55 Jahre, von 21 bis 81 Jahre), die Beobachtungsdauer nach TFR2 betrug im Mittel 41 Monate (2-131 Monate). 33.2% der Patienten befand sich noch in TRF2, alle anderen mussten die Behandlung wieder aufnehmen. Nach TFR2 traten 13% der Rückfälle sehr spät auf; 3 Patienten hatten ihr Rückfälle nach 2.2, 2.3 bzw. 3.1 Jahren.
Insgesamt sind die Absetzversuche in MR 4.5 nach einem ersten, fehlgeschlagenen Versuch ungefähr bei einem Drittel der Patienten längerfristig erfolgreich. Die Geschwindigkeit des molekularen Rückfalls nach dem ersten TFR-Versuch und die Dauer der ersten TFR bleiben die wichtigsten Indikatoren für den Erfolg eines zweiten Versuchs. Diese Beobachtungen bestätigen, dass TKI auch ein zweites Mal nach einem ersten, fehlgeschlagenen Versuch sicher und erfolgreich abgesetzt werden können, wenn eine sehr engmaschige molekulare und medizinische Überwachung gewährleistet ist. Die Autoren raten von einem zweiten Absetzversuch ausserhalb einer medizinischen Studie ab.
Eine Erfolgsrate von ca. 30% bei einem TFR2-Versuch scheint auch von den Daten der „Canadian TKI Discontinuation Trial“ Studie gestützt zu werden, die von Dr. Dennis Dong auf einem Poster gezeigt wurden.In dieser Studie setzten die Patienten unter Imatinib-Behandlung ab, und nahmen im Fall eines Verlusts der MMR die Behandlung neu mit Dasatinib (100mg/d) wieder auf, um dann 12 Monate nach Wiedererlangen von MR4 die Behandlung wieder abzusetzen. In dieser Studie mussten 59.8% der Patienten die Behandlung innerhalb der ersten 6 Monate wiederaufnehmen.
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Im Vortrag von Philippe Rousselot wurden als Faktoren, die einen erfolgreichen zweiten Absetzversuch andeuten, die Dauer der MR4 und die Dauer der ersten TFR genannt. Allerdings zeigten in seiner Untersuchung weder die Dauer der TKI-Behandlung vor dem ersten Absetzen noch die totale Dauer der TKI-Behandlung vor bzw. zwischen den Versuchen, die Art des TKI oder vorausgehende Interferon-Behandlung einen Einfluss auf den Erfolg des zweiten Versuchs.
Sicher, aber kein echtes Plateau: Die Notwendigkeit einer lebenslangen PCR-Überwachung wird durch Studiendaten gestützt
Alle Daten legen nahe, dass dem Absetzen eine kontinuierliche und konsistente Überwachung auch langfristig wichtig ist. Alle Studien, die am ASH 2019 vorgestellt wurden, hatten eine kleine Zahl von Patienten mit späten Rückfällen beobachtet; diese Rückfälle traten Jahre nach dem Absetzen der Behandlung auf. Innerhalb dieser klinischen Studien nahmen die Patienten die Behandlung zügig wieder auf und sprachen wieder an, bis auf einen Patienten der französischen STOP-2G-TKI-Studie, bei dem 6 Monate nach der Wiederaufnahme der Behandlung eine Blastenkrise auftrat. Dieser Patient konnte erfolgreich durch eine Stammzelltransplantation nach Chemotherapie plus Ponatinib behandelt werden und ist 29 Monate nach der Behandlung in Remission am Leben.
Insgesamt wurde am diesjährigen AHS in verschiedenen Vorträgen und Postern über vier Einzelfälle von Patienten berichtet, die aus der TFR heraus eine Progression in eine Blastenkrise der CML erlitten. Als wie bei verschiedenen Experten über mögliche Erklärungen nachfragten, zogen diese spontane Progressionen, die genauso auch während der dauerhaften Behandlung mit TKI aufgetreten wären, in Betracht. Ähnliche Progressionen wurden bereits in der Interferon-Ära nach Jahren der vollständigen Remission beobachtet worden. Obwohl das angesichts vieler tausend CML-Patienten unter enger Beobachtung in den Stop-Studien ein sehr seltenes Phänomen ist und nur 4 Fälle einer solchen spontanen Progression zur Blastenkrise beobachtet wurden, müssen solche Fälle sicherlich weiter untersucht werden.
Insgesamt ergibt sich aus den späten Rückfällen und den oben genannten Progressionen eindeutig, dass die molekulare Überwachung auch für Patienten, die sich seit Jahren in der TFR befinden, unerlässlich bleibt – auch wenn TFR für diese Patienten einen Segen darstellt, gibt es für sie kein Entkommen vor der PCR.
Gute Praxis-Schlechte Praxis: Wird die Notwendigkeit der engmaschigen molekularen Überwachung ernst genug genommen?
Wird die engmaschige Überwachung ernst genug genommen? Dr. Ehab L. Atallah vom Medical College Wisconsin stellte dazu ein Poster vor. Seine Gruppe bewertete die klinische Praxis von US-Ärzten und deren Patienten in TFR unter Berücksichtigung der NCCN- und der ESMO-Leitlinien, die spezifische Empfehlungen für das Absetzen der TKI-Behandlung bei CML enthalten.
Insgesamt 111 Onkologen/Hämatologen beantworteten im Juli 2019 eine Umfrage zu ihrer klinischen Praxis bezüglich ihrer Vorgehensweise von CML-Patienten mit TKI-Behandlung in chronischer Phase. Die befragten Hämatologen mussten ihre medizinische Zusatzausbildung beendet haben, und zumindest für Behandlungsentscheidungen und Nachsorge bei erwachsenen CML-Patienten ausserhalb klinischer Studien seit Januar 2017 verantwortlich sein. Die Umfrage erfasste Informationen über die medizinische Praxis und Erfahrungen mit der Behandlung der CML mit den Schwerpunkten molekulare Überwachung und Absetzen der TKI-Behandlung.
Die befragten Ärzte waren niedergelassen (56.8%) oder in akademischen Institutionen tätig (43.2%). Die meisten von ihnen (54.1%) waren in grossen Praxen mit 10 oder mehr Ärzten tätig, der Rest zumeist in kleinen bis mittleren Praxen mit 2-9 Ärzten (42.3%) und nur wenigen „Einzelkämpfern“ (3.6%). Die Praxen befanden sich vor allem im städtischen Umfeld (49.5%), gefolgt von Vororten (42.3%) und nur wenigen ländlichen Praxen (8.1%). Die Mehrheit der Ärzte (55.9%) hatten mehr als 10 Jahre Erfahrung seit dem Abschluss ihrer Zusatzausbildung, 32.4% hatten 5-10 Jahre und 11.7% hatten weniger als 5 Jahre Erfahrung in der Praxis. Alle Befragten gaben an, Patienten auf molekulares Ansprechen zu untersuchen und Zugang zu Ergebnissen gemäss internationaler Skala (IS) zu haben.
Von den 111 Ärzten gaben 86.5% an, das Absetzen der TKI-Behandlung nach dem Erreichen eines adäquaten Ansprechens mindestens eines ihrer Patienten versucht zu haben, 64% versuchten das ausserhalb einer Studie. Von diese 71 Ärzten zieht die Mehrheit das Absetzen aus medizinischen Gründen in Erwägung (62% wegen Nebenwirkungen, 60.6% wegen der Planung von Schwangerschaften) in Betracht, weniger von ihnen aber wegen ökonomischer Gründe (31% wegen hoher Zuzahlungen,14.1% wegen Änderungen der Versicherungen). 35.2% gaben an, Absetzen für alle Patienten mit adäquatem Ansprechen in Betracht zu ziehen. Die Gründe für das Absetzen nach dem Erreichen schlossen sich nicht gegenseitig aus. Von den 71 Ärzten, die einen TFR-Versuch ausserhalb einer klinischen Studie versucht hatten, kannten nur 43 (60.6%) die Aktualisierungen der Leitlinien für die klinische Praxis des TKI-Behandlungsstops.
Die Autoren schlussfolgern daraus, dass das Absetzen der TKI-Behandlung sich sowohl bei niedergelassenen als auch bei universitären Praxen der USA verbreitet; unglücklicherweise wird es ohne die Anwendung der angemessenen empfindlichen Werkzeuge zur Beurteilung des Ansprechens bei der Auswahl der Patienten versucht wird.Die Hälfte der befragten Ärzte hatte keinen Zugang zu verlässlichen qPCR-Analysen mit einer Sensitivität von mindestens MR4.5. Weil sich das Absetzen der TKI-Behandlung wahrscheinlich in der Praxis immer mehr verbreitet, müssen die zugehörigen Leitlinien vollständig unter den Ärzten verbreitet werden.
Quelle:
https://www.leukaemie-online.de/38-cml/1317-ash2019tfr