Der Krebskongress 2020 hat das Motto: „informativ. innovativ. integrativ. Optimale Versorgung für alle“. „Wir müssen erreichen, dass jeder Patient in Deutschland die gleichen Behandlungschancen erhält“, erklärt der Präsident des DKK 2020, Professor Andreas Hochhaus.
Ärzte Zeitung: Herr Professor Hochhaus, mit Ihrem Kongressteam haben Sie sich für das Motto des diesjährigen DKK „informativ. innovativ. integrativ. Optimale Versorgung für alle“ entschieden. Ihre Intention?
Professor Andreas Hochhaus: Ich würde gerne den letzten Teil des Mottos aufgreifen, die „optimale Versorgung für alle“. Das ist für mich gleichbedeutend mit „gleiche Chancen für alle“. Für mich ist es besonders wichtig, dass wir mit dem Kongress der Öffentlichkeit deutlich machen, dass wir ein gemeinsames Ziel haben: Wir wollen erreichen, dass jeder Patient in Deutschland die gleichen Chancen bekommt – egal wo er wohnt und welche Krebserkrankung er hat.
Es darf nicht sein, dass ein Patient, der seine Diagnose an einem Comprehensive Cancer Center oder einer großen universitären Einrichtung bekommt, in der Erstlinie anders behandelt wird und damit bessere Therapiechancen hat als jemand, der aus einer ländlichen Region stammt. Die Standards werden durch Leitlinien abgebildet und diese müssen überall gelten und überall gleich umsetzbar sein. Das Zertifizierungsverfahren der Deutschen Krebsgesellschaft sichert die Qualität der Versorgung auf allen Ebenen.
Ich sehe hier zwei Ebenen: die Basistherapie für die großen Entitäten und die modernen, innovativen Therapien, die meist erst ab der Zweitlinie oder in späteren Therapielinien infrage kommen. Es ist völlig klar, dass innovative Wissen-generierende Medizin in den großen Zentren betrieben wird. Aber es muss uns gelingen, Netzwerke zu bilden, die es erlauben, die Kenntnis über diese innovativen Therapien auf einfache Weise flächendeckend zu verbreiten. Zudem müssen wir die Infrastruktur etablieren, damit der Patient, wenn er es braucht, an ein großes Zentrum überwiesen werden kann oder sogar gemeinsam mit dem Zentrum im Rahmen einer frühen klinischen Studie behandelt werden kann. Aber die Basistherapie und Basisdiagnostik sollte – gemäß der verabschiedeten Leitlinien – überall möglich sein.
Wo sehen Sie denn momentan die größten Probleme, was die Versorgung in der Fläche betrifft?
Hochhaus: Ein großes Problem ist die demografische Entwicklung der Ärzte speziell im ländlichen Raum. Wir haben Regionen in Deutschland, in denen es heute nur noch wenige und bald vermutlich überhaupt keine niedergelassenen Onkologen mehr gibt. Die Konzentration findet an den großen Zentren statt, und für altersbedingt ausscheidende niedergelassene Kollegen auf dem Land findet sich kein Nachwuchs. Es wird hier in den nächsten fünf bis zehn Jahren zunehmend Lücken in der onkologischen Versorgung geben und diese Lücken müssen wir heute erkennen und füllen, um auch in der Zukunft eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.
Ein Stadt-Land-Gefälle wird es immer geben, das ist keine Frage, aber es darf nicht zum Ausfall der ärztlichen Erreichbarkeit oder für den Patienten zu unzumutbaren Anfahrtswegen kommen. Hier erwarte ich in der kooperativen therapeutischen Zusammenarbeit von großen onkologischen Zentren mit der niedergelassenen Ärzteschaft oder auch kleineren Krankenhäusern in ländlichen Regionen durchaus eine bessere Patientenversorgung. Ziel ist es, eine optimale Basisversorgung vor Ort und den Zugang zu innovativen Therapien gleichermaßen möglich zu machen.
In den letzten Jahren haben zahlreiche Innovationen die Hämatologie und Onkologie enorm verändert – Stichwort „innovativ“ im Motto des DKK 2020. Was halten Sie für die bedeutendsten Innovationen, und wie werden diese beim Kongress abgebildet?
Hochhaus: Neben der Immunonkologie gibt es viele weitere Innovationen, die die Hämatologie und Onkologie weitergebracht haben. Auch diese werden natürlich thematisch beim Kongress abgebildet.
So wird etwa die zielgerichtete Therapie, die auf der Hemmung von Signaltransduktionswegen beruht, ständig weiterentwickelt – nicht nur in der Onkologie, sondern auch in der Hämatologie. Ich möchte hier nur an die chronische lymphatische Leukämie erinnern, bei der inzwischen chemotherapiefreie Therapieprotokolle vorliegen, die allein mit Antikörpern und Signaltransduktionshemmern auskommen. Das ist bei soliden Tumoren noch nicht so weit entwickelt, aber wir erwarten durchaus, dass ein solcher Ansatz auch bei der einen oder anderen Entität zum Einsatz kommen wird.
Neben den Fortschritten in der Systemtherapie gibt es selbstverständlich auch Innovationen in der Chirurgie, etwa roboterbasierte Methoden, und in der Strahlentherapie. Hier liegt es mir besonders am Herzen, dass man neue gemeinsame Therapieformen findet und die einzelnen Behandlungsschritte noch besser aufeinander abstimmt.
Neben den Weiterentwicklungen in der Therapie möchte ich auch die Fortschritte in der Diagnostik nicht vergessen – etwa die systematische Diagnostik oder die Fortschritte in Bildgebung bis hin zu spezialisierten PET-CT-Verfahren und rezeptorbasierten Markierungsverfahren, die sehr spezifisch Tumoren nachweisen können.
In welchen Bereichen kann die „Organonkologie“ von der Hämatologie lernen?
Hochhaus: Die wesentlichen Entwicklungen der Diagnostik und Systemtherapien maligner Erkrankungen fanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Hämatologie statt. Insbesondere wurden die molekularen Hintergründe des Krebses zunächst bei Leukämien beschrieben. Leukämien sind naturgemäß über Blut und Knochenmark leicht zu erreichen, sodass in diesem Bereich oftmals neue Systemtherapien entwickelt wurden. Imatinib ist hier natürlich das Paradebeispiel. Die Entwicklung dieses Tyrosinkinaseinhibitors bei der CML und bei gastrointestinalen Stromatumoren hat die Onkologie insgesamt wesentlich beeinflusst und weitergebracht. Das Prinzip, dass Signalhemmer spezifisch wirken können, wurde ja unmittelbar auf EGF-Rezeptoren, etwa beim Lungenkarzinom, Kopf-Hals-Tumoren oder Kolonkarzinom, später auch auf andere spezifische Marker wie BRAF und andere übertragen.
Für altersbedingt ausscheidende niedergelassene Kollegen auf dem Land findet sich kein Nachwuchs. Diese Lücken müssen wir erkennen und füllen, um auch in Zukunft eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.
Die Problematik der Resistenzentwicklung war die nächste Erkenntnisebene, die aus der Hämatologie übernommen wurde. Hämatologen haben schon früh erkannt, dass die Gefahr, dass sich spezifische Resistenzen bilden, umso größer ist, je spezifischer man behandelt. Wenn man die Resistenzen früh erkennt, kann man durch eine Änderung der Therapiestrategie aber auch gegensteuern. Ein gutes Beispiel sind die Lungenkarzinome, bei denen mit Hilfe der „liquid biopsy“ zirkulierende Tumorzellen im Blut der Patienten, die spezifische Resistenzmutationen aufweisen, identifiziert werden können. So kann eine Änderung der Therapie eingeleitet werden, ohne dass es einer neuen Tumorprobe bedarf. Das ist eine direkte Translation aus den Erfahrungen der Hämatologie.
Als letztes Beispiel möchte ich die zelluläre Immunonkologie, beispielsweise mit CAR-T-Zellen, nennen. Diese neuen Behandlungsstrategien wurden ebenfalls zunächst in der Hämatologie entwickelt, sind dort in einigen Indikationen bereits zugelassen und werden auch Eingang in die Organonkologie finden.
Auch der Begriff der Integration ist Ihnen wichtig. Was genau verstehen Sie darunter?
Hochhaus: Unter Integration verstehen wir zunächst eine engere Zusammenarbeit der verschiedenen Organfächer. Insbesondere wollen wir die Integration von Chirurgen, Strahlentherapeuten und Systemtherapeuten vorantreiben sowie die Integration von Diagnostik und Therapie. Für besonders wichtig halte ich die Integration der verschiedenen Berufsgruppen – vom Studierenden bis zum Pensionär, vom Arzt über das Pflegepersonal bis hin zum Psychoonkologen und Apotheker.
Die Zusammenarbeit der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe im Hinblick auf den Deutschen Krebskongress ist ja mittlerweile etabliert und äußerst erfolgreich. Der DKK 2020 ist bereits der vierte Kongress, den beide gemeinsam ausrichten. In diesem Zusammenhang halte ich es für sehr bedeutsam, dass sich der DKK an alle richtet, die sich mit Krebserkrankungen beschäftigen, das heißt Ärzte, Pflegende, Psychoonkologen, Apotheker, Physiotherapeuten, Patientenvertreter und Studierende. Auch die Landeskrebsgesellschaften sind aktiv am Kongressprogramm beteiligt.
Zuletzt noch eine persönliche Frage: Gibt es ein Kongresshighlight, auf das Sie sich besonders freuen?
Hochhaus: Ich kann versprechen, dass es viele Kongresshighlights geben wird. Nur so viel: Es wird sehr attraktive Beiträge mit interessanten eingeladenen Rednern geben. Ein weiterer Höhepunkt wird sicher der parlamentarische Abend werden, bei dem wir eine spannende Diskussion erwarten dürfen. Die parallel stattfindende 8th European Conference on Tabacco or Health (ECToH) wird das wichtige Thema Prävention bereichern. Ganz besonders freue ich mich aber auf die vielen Begegnungen, die ich auf dem Kongress mit den Kollegen haben werde.
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